|
Historia interculturalis |
|
« Fenêtre » Takashi Naraha Clermont-Ferrand Home/ |
Thema: Europa und
seine Grenzen |
|
|
Last
update: 5.09.2009 |
|
|
|
|
Übersicht |
|
|
|
||
|
Essay 1. Zum Einstieg: Die
Türkei in die EU? Eine neue
»orientalische Frage« Anmerkungen aus historischer Sicht zu
Europa, der Türkei, dem Mittelmeer und dem Nahen Osten Wie islamisch ist die Türkei? Wie christlich ist
Europa? In seinem politischen und juristischen Selbstverständnis basiert
Europa nicht auf christlichen Werten, sondern auf antiken römischen
Prinzipien. Im Zeichen einer globalisierten Zukunft lohnt auch ein Blick
zurück auf eine globale Vergangenheit. |
La Turquie dans l’Union Européenne? Une nouvelle « question orientale » Remarques
d’un point de vue historique sur l’Europe, la Turquie, la Méditerranée et le
Proche Orient |
>>Pomian |
2. Von Europas
Anfang und Europas Ende Krzysztof Pomians Europavision (und
nicht nur seine) 1990-2009 |
|
3. Hinweise
und Links |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Verfasst 1.1.2005 Aktualisiert 24.3.2006 |
Zum Einstieg: Die
Türkei in die EU? Eine
neue »orientalische Frage« Anmerkungen aus historischer Sicht zu
Europa, der Türkei, dem Mittelmeer und dem Nahen Osten von Wolfgang Geiger |
La Turquie dans l’Union Européenne? Une nouvelle « question orientale » Remarques
d’un point de vue historique sur l’Europe, la Turquie, la Méditerranée et le
Proche Orient |
Aus einer Weltkarte von 1502. Die Navigation im Mittelmeer orientierte
sich am ägyptischen Alexandria. |
Es geht
im Folgenden nicht um die realen Probleme, die für einen immer noch – und
nach der jüngsten europäischen Krise um so mehr – in weiter Ferne stehenden
Beitritt der Türkei zur EU zu lösen sind, sondern um jene imaginierten
Probleme, vermeintlichen kulturellen Unvereinbarkeiten, die im Vorfeld des
Beschlusses zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen von den Gegnern
vorgebracht wurden und weiterhin werden. Meine
Meinung gleich vorneweg: Das heutige Europa ist nicht mehr das kulturell,
wirtschaftlich und gesellschaftlich homogene, politisch durch die
innereuropäische Ost-West-Konfrontation geprägte und entsprechend eingegrenzte
(West-)Europa von vor 1989. Nicht nur das Ende des Kalten Krieges sondern
auch die neuen geopolitischen Herausforderungen involvieren Europa über seine
ehemaligen Grenzen hinaus – teils gezwungen, teil gewollt: europäische
Soldaten sind in den Bergen Afghanistans, im Indischen Ozean vor dem Horn von
Afrika, in Ostafrika stationiert. Auch das Irak-Problem tangiert uns nolens volens, und zwar im
wörtlichsten Sinne von »tangieren«: es »berührt« uns geografisch,
politisch..., in jeder Hinsicht, und auch die europäischen Irakkriegsgegner
von gestern sind heute in der einen oder anderen Weise bei der Stabilisierung
des neuen Irak dabei (wenn diese denn überhaupt gelingen sollte). Die EU hat
auch und zu Recht die Demokratisierung in der Ukraine unterstützt, sollte
sie ihr denn anschließend auf immer das Tor zur EU verschließen? Das ist der
Preis des Sieges des Freiheit: Europa entwickelt eine unaufhaltsame Dynamik
der Anziehung, die jeden, der draußen vor der Tür bleiben muss, zum Outcast
degradiert. Nicht das Ob, sondern
das Wie der Erweiterung ist somit
die Frage, im Hinblick auf Osteuropa, aber auch im Hinblick auf den Mittelmeerraum:
Die Türkei liegt nicht vor den
Grenzen Europas, sondern überstülpt diese Grenze historisch, politisch,
kulturell, sie ist nicht erst seit gestern mit Europa verbunden und bemüht
sich nicht erst seit gestern um eine politisch-gesellschaftliche Angleichung.
Wer heute mit einer Europanostalgie von gestern gegen die EU-Beitrittsverhandlungen
mit der Türkei argumentiert, verschließt die Augen nicht nur vor der Zukunft,
sondern bereits vor der Gegenwart. Es geht in der folgenden Erörterung nicht um die
konkreten Probleme, die in weiteren Verhandlungen mit der Türkei zu lösen und
ebenso schwer wie unumgänglich sind. Es geht hier vielmehr um das
fundamentale historisch-kulturelle Argument, das den Beitritt der Türkei auch
bei Lösung der gravierendsten Probleme ausschließen
würde. |
Il ne s’agira pas ici de
parler des problèmes réels qui existent pour une adhésion de la Turquie à
l’U.E., mais des problèmes imaginés, des incompatibilités prétendues, qui
ont été évoqués lors du débat sur la candidature officielle. L’Europe d’aujourd’hui n’est
plus cette Europe occidentale d’avant 1989, homogène sur les plans culturel,
économique et social, imprégnée par la confrontation Est-Ouest intraeuropéenne et ainsi délimitée. Involontairement et
volontairement à la fois, elle est présente militairement en Afghanistan,
dans l’Océan Indien, et les Européens sont touchés par le problème irakien,
quelle que fût leur attitude face à la guerre. L’Europe doit être à la
hauteur du dynamisme qu’elle exerce elle-même, et c’est pourquoi elle ne peut
pas s’engager et se désengager à la fois dans l’espace méditerranéen. |
1
Bundestagsfraktion 2 Siehe
Bundeszentrale für politische Bildung |
»Du komms hier net rein!« Frei
nach Kaya Yanar, »Was
guckst du?« 1. Das Wir-Europa ist der Kern des historisch-politischen Arguments gegen
den Beitritt der Türkei. »Es gehe in dieser Frage nicht in erster Linie um
die Türkei, sondern um "unsere Zukunft", um das jahrzehntelange
Aufbauwerk unserer politischen europäischen Union«, resümiert die Homepage
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Angela Merkel (1) , und beruft sich dabei
auch auf einen renommierten Historiker, Heinrich August Winkler: »Eine
politische Union verlangt ein europäisches Wir-Gefühl. Dieses setzt
gemeinsame historische Erfahrungen und Prägungen voraus. [...] Eine EU, die
auch die Türkei umfaßt, könnte an ein europäisches
Wir-Gefühl nicht mehr appellieren. Dazu sind die kulturellen Prägungen der
Türkei und Europas zu unterschiedlich. Die Unterschiede haben etwas mit
Christentum und Islam zu tun. «(2) So
fragen wir uns: Wo beginnt und wo endet Europa historisch wie geografisch,
wie christlich ist Europa, wie islamisch ist die Türkei, wer sind wir ? Kleiner
historischer Rückblick... |
« L’Europe
c’est nous » est le noyau de l’argument historico-politique des adversaires
de l’adhésion turque. La frontière entre « nous » et
« eux » est marquée par une différence culturelle « qui a
quelque chose à voir avec le christianisme et l’islam. » Ainsi
l’historien H.A. Winkler cité en référence par le
groupe CDU/CSU au Bundestag. |
|
2. Das Vermächtnis des großen Augustus,
das Denkmal seiner Taten (res gestae), Monumentum Ancyranum
genannt, befindet sich in der Türkei, sogar in deren Hauptstadt. Klar, die
Türken gab es damals noch nicht in der Türkei, Ankara hieß damals Ankyra. Aber das Land, Kleinasien genannt, lag auch
damals schon in Asien. Warum hat Augustus das Denkmal seiner Herrschaft
gerade dort errichten lassen? Vielleicht um die von ihm errungene bzw.
bekräftigte Herrschaft Roms über den östlichen Teil des Mittelmeers demonstrativ
zu bestätigen; vielleicht auch um deutlich zu machen, dass Rom dort genauso
präsent war wie in Italien, will heißen: nicht nur als Beherrscher. Wer lebte
dort vor Ankunft der Römer? Man sprach griechisch, deswegen hat Augustus im Monumentum Ancyranum seine
Heldentaten in zwei Sprachen einmeißeln lassen: Latein und Griechisch. Aber
die Einheimischen, die des Griechischen eher mächtig waren als des
Lateinischen, waren deswegen nicht unbedingt Griechen. Nein, sogar mehrheitlich
keine Griechen. Alexander der Große hatte Kleinasien von den Persern erobert,
diese hatten zuvor Kleinasien erobert... und vor ihnen? Die Liste wäre zu
lang. Man sprach also viele Sprachen auf dieser Ost-West- und
West-Ost-Durchgangsstation, darunter alte indoeuropäische Sprachen vor der
persischen Eroberung, dann Persisch, Griechisch, Lateinisch, je nach dem, wer
das Sagen hatte. In der Nachfolgezeit Alexanders, unter der Herrschaft seiner
Generäle und deren Nachkommen als Könige in der Epoche des so genannten
Hellenismus, hatte sich das Griechische im östlichen Mittelmeer als Amts- und
Verkehrssprache etabliert, eine lingua franca,
wie der Lateiner sagt. Die Römer hatten sich also als Herren dort etabliert,
so wie die Griechen vor ihnen (und gewisser Weise danach wieder im
Byzantinischen Reich), so wie die Perser vor den Griechen..., und die Türken
nach den Griechen. Die Bewohner der eroberten Provinzen erhielten im
Römischen Reich zunächst abgestufte Formen minderen Bürgerrechts. In dem
Maße, wie die Integration der Provinzen in wirtschaftlicher, politischer und
sozialer Hinsicht voranschritt, wurden die Unterschiede geringer, die
individuell und ganzen Städten gewährten Einbürgerungen häufiger und
schließlich erhielten alle freien Einwohner des Imperiums im Jahre 212 das
gleiche römische Bürgerrecht. Erlassen wurde diese Constitutio
Antoniana von Kaiser Caracalla, dem Sohn des Septimius Severus, der erstmalig als ein in Afrika
geborener Römer auf den Thron kam und mit einer Syrerin verheiratet war.
Vorbei war die Differenzierung zwischen ihr
und wir ,
die Pax Romana war im
besten Sinne vollendet. |
Le grand Auguste nous a
laissé son curriculum vitae inscrit en latin et grec à Ankara (le monumentum ancyranum),
témoignage de l’intégration de l’Asie mineure dans l’Empire romain. Les Romains l’avaient
conquise, comme avant eux Alexandre le Grec, avant lui les Perses…, et après
l’époque gréco-romaine, les Turcs. Après une phase d’inégalité
sur le plan juridique, l’empire romain finit par accorder à tous les
habitants libres de l’empire les mêmes droits, en 212. La Pax Romana
fut ainsi accomplie dans le bon sens du terme, désormais il n’y avait plus de
distinction entre nous et vous dans ce premier espace globalisé. |
Christus als Anführer eines
Kreuzfahrerheeres. Aus einem Gemälde des frühen 14. Jhs. |
3. Nach dem Untergang der Römischen Reiches
im Westen verblasste auch die lateinische Sprache im Osten, im 7. Jahrhundert
entschied sich das Byzantinische Reich wieder zum Griechischen als
Amtssprache zurückzukehren, verstand sich aber immer noch in der römischen
Tradition, die Bewohner dieses Kaiserreichs nannten sich Rhomäer und die Türken das Byzantinische Reich daher auch Rum. Sie selbst kamen in einem ersten
Ansturm eines Seldschuken genannten Stammes im 11.
Jahrhundert, dessen Bedrohung Konstantinopels den dortigen Kaiser Alexios den Westen und sogar den Papst um Hilfe rufen
ließ, Oberhaupt einer Kirche, mit der sich Byzanz kurz zuvor unversöhnlich
zerstritten hatte. Doch der Feind von gestern war der Freund von heute, wenn
es gegen einen gemeinsamen neuen Feind ging, so jedenfalls aus byzantinischer
Sicht. Das hatte aber wiederum gar nichts mit dem Christentum zu tun, auch
wieder aus byzantinischer Sicht, denn Kaiser Alexios
verbündete sich gleichzeitig mit dem arabischen Kalifen von Kairo gegen die Seldschuken, die den Arabern gerade die Herrschaft über
Jerusalem und weite Teile des Nahen Ostens geraubt hatten. Alexios’ Plan: eine von ihm zu Hilfe gerufene Armee
sollte aus dem Norden gegen die Seldschuken
marschieren, gleichzeitig sollten die Araber von Süden anrücken. Ziel:
Teilung des Nahen Ostens in Nord- und Südzone unter byzantinischer und
arabischer Herrschaft so wie vor dem Einfall der Seldschuken;
Jerusalem wurde den Arabern zugesprochen, die, obwohl Moslems, den Christen
alle Freiheiten in der Stadt garantierten. Doch die von Papst Urban II. geschickten Truppen wollten
nicht primär die Herrschaft des byzantinischen Kaisers wiederherstellen,
sondern das Heilige Land von der Herrschaft der Muslime befreien und unter
die Hoheit des katholischen Westens stellen. So geschah es auch. Gemäß der
Abmachung mit Alexios hatten ägyptische Truppen
Jerusalem von den Seldschuken befreit, als sie von
der Ankunft eines großen Heeres im Norden erfuhren. Dieses kümmerte sich
jedoch nicht um die Abmachung mit den Byzantinern, sondern massakrierte auf
seinem Weg nach Jerusalem und in Jerusalem selbst Moslems – ob Türken oder Araber –, Juden und sogar,
wenn sie sich in den Weg stellten, nicht-katholische Christen. Dies war
nämlich der 1. Kreuzzug. Aber was hat dies mit der Türkei und der
EU zu tun? |
Le premier assaut d’une tribue turque, des Seldjouquides,
en Asie mineure, au milieu du 11ème siècle, fut la cause de la
première croisade à la fin du siècle. L’empereur byzantin Alexios appela les Occidentaux catholiques au secours,
avec lesquels l’église orthodoxe venait pourtant de se brouiller. Ce combat
ne fut pas pour autant une question de religion pour Alexios,
car il était assez intélligent de conclure un pacte
également avec le calife du Kaire contre les
Seldjouqides. Les Arabes devaient les attaquer au sud, les Byzantins et
leurs alliés au nord. Hélas, les croisés ne respectaient
ni l’autorité de l’empereur orthodoxe, ni son pacte avec les Egyptiens. |
|
4. Also, zunächst einmal berufen
sich die Gegner der Beitrittsverhandlungen auf die christliche Identität Europas.
Also auf einen Religionsgründer, der zur Zeit des Augustus im Nahen Osten
»sein Unwesen trieb«, so aus Sicht der Römer jedenfalls, die ihn ihm einen
jener jüdischen Aufrührer gegen die römische Herrschaft sahen, wie es sie
vorher und nachher noch mehrere gab. Das Christentum entstand im Osten und
dort wurden schon »Häretiker« von der gerade offizialisierten Religion im 4.
Jahrhundert bekämpft, als Westeuropa noch Missionsgebiet war. Europa und vor
allem Westeuropa blieb »auf dem
flachen Land« recht lange gegen den neuen Glauben renitent (mit Ausnahme
Irlands, das nicht einmal römisch war) und noch Jahrhunderte später, also im
Mittelalter, mussten selbstlose und verwegene Missionare wie Bonifatius
ganze Regionen in Mitteleuropa für das Christentum bekehren und dies oft
genug mit ihrem Leben bezahlen. Ja, Bonifatius fällte die Eiche des
germanischen Gottes Donar bei Geismar und starb im
heidnischen Friesland nur dreihundert Jahre bevor das christliche Abendland
die ersten Türken bekämpfte. In der Zwischenzeit hatte sich hierzulande das
Christentum zwar schon gefestigt, doch dafür bekämpften sich jetzt Kaiser und
Papst bis aufs Blut, stießen sich gegenseitig vom Thron und aus der
Gemeinschaft der Christen aus... Das war der sogenannte Investiturstreit, weit
mehr als nur ein Kampf um die Einsetzung der Bischöfe. Wer hatte das Sagen?
Der Papst war mit seinem Herrschaftsanspruch im Dilemma... Wie viele
Divisionen hat der Papst, sollte später einmal Stalin fragen, eine ähnliche
Frage stellte sich auch Papst Urban II. Ende des 11. Jahrhunderts. Er hatte
keine Armee, doch jetzt gab es die Chance den Glaubenseifer der Christen
militärisch umzusetzen und den europäischen Rittern dafür neben ihrem
Seelenheil auch noch Reichtum im Diesseits zu versprechen, wenn sie für die
Kirche in den Krieg zogen. In Spanien hatte die Reconquista
gerade ihren ersten großen Erfolg errungen, die Rückeroberung Toledos 1085,
warum sollte so etwas mit vereinter Anstrengung nicht auch auf der anderen
Seite des Mittelmeers gelingen? So wurden die Seldschuken
von den Kreuzrittern im Heiligen Land geschlagen aber später vertrieb ein
muslimischer Sultan namens Saladin seinerseits wieder die Kreuzritter und
erwies sich dabei als weitaus humaner gegenüber seinen Gegnern als diese
gegenüber den ihren. So zollt ihm auch unsere Geschichtsschreibung
Anerkennung dafür, bis hin zu seinem Part in Lessings Theaterstück Nathan der Weise. |
L’invocation d’une tradition
chrétienne occidentale accapare un héritage dont l’origine est orientale. Les
croisés venaient de contrées dont certaines furent encore objet de la mission
chrétienne trois siècles plus tôt.. La première croisade fut
d’ailleurs lancée par un pape en grosses difficultés dans son combat contre
l’empereur, un pape qui reconnut qu’il lui fallait créer une main armée pour
s’imposer comme autorité suprême. L’intolérance et le
fanatisme se sont montrés à maintes reprises beaucoup plus du côté chrétien
que du côté musulman, pensons seulement à Saladin qui traitait ses ennemis
de façon plus humaine que ne le faisaient les Chrétiens. Ce furent en fait les
croisés de la 4ème croisade qui en se prenant à Constantinople
préparèrent le terrain à la conquête turque deux siècles plus tard. Une fois
de plus, la foi chrétienne jouait peu dans ces affaires de pouvoir et
d’argent. Dès 1536, la France a établi
les premiers relations diplomatiques modernes avec l’Empire ottoman, en
bonne et due forme, avec ambassade et tout ce qu’il faut. Il est donc curieux que les
Français justement se montrent tellement réservés au sujet des négociations
avec la Turquie. A l’époque, donc, là aussi,
la solidarité chrétienne n’existait pas puisque ce n’était pas une
confrontation religieuse. Pour la France, l’ennemi c’étaient les Habsbourg.
On était loin d’une logique de combat entre les civilisations. |
Empfang eines französischen Gesandten beim Großwesir 1699. |
5. Auf dem 4. Kreuzzug
entschlossen sich die Kreuzritter statt arabischen Landes lieber das
christliche Konstantinopel zu erobern und zu plündern, waren die
Orthodoxen den Katholiken letztendlich nicht genauso Feind? Außerdem gab es
dort weit mehr zu holen, Konstantinopel war die reichste Stadt der europäisch-mediterranen
Welt. Etliche Verwüstungen und Plünderungen, die später der türkischen
Eroberung zugesprochen wurden, stammen in Wirklichkeit aus jener Zeit des
»Lateinischen Kaiserreichs«. Vom 4. Kreuzzug erholte sich Konstantinopel
nicht mehr. Das christliche Reich im Osten, dem einst die Kreuzritter gegen
die Seldschuken zu Hilfe kamen, wenn auch nicht
uneigennützig, bekam nun seinen Todesstoß von den Kreuzrittern selbst, an dem
es freilich nicht sofort zugrunde ging. Waidwund hielt es sich noch tapfer
zweihundert Jahre lang, bis Konstantinopel schließlich in die Hand der
osmanischen Türken fiel. Der Westen unternahm damals erneute Kreuzzugsversuche,
doch die Energie war versiegt: England und Frankreich hatten sich im
Hundertjährigen Krieg gegenseitig beinahe zugrunde gerichtet, die katholische
Kirche war auf ihrem Tiefpunkt angelangt: päpstliches Schisma, Ketzereien und
schließlich die Reformation waren letztlich wichtigere Gründe für Kriege
unter Christen als die Bekämpfung des Vormarsches des Islam auf dem Balkan.
Vom 16. Jahrhundert an trug Österreich die Last des Kampfes gegen die Türken
und erfand dabei, wie man weiß, das Croissant. Ansonsten kamen auch der
Kaffee und andere nützliche Dinge nach Europa. Vom Kampf der Kulturen waren die Europäer also
weit entfernt, Frankreich unterhielt seit 1536 diplomatische Beziehungen
zum Osmanischen Reich, die ersten der Moderne überhaupt: mit Botschaft und
allem drum und dran, weil es sich mit ihm gegen die Habsburger verbündet
hatte. (Die Akten der französischen Botschaft in Istanbul seit dem 16. Jahrhundert
werden übrigens im Archiv des französischen Außenministeriums in Nantes aufbewahrt
und sind grundsätzlich für die Forschung zugänglich). Kurios, dass heute
ausgerechnet Frankreich am stärksten gegen Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei ist, aber dafür können natürlich die Franzosen von damals nichts, so
wenig wie die heutigen für den »Europaverrat« ihrer Vorväter. Es entspricht
aber auch nicht der intellektuellen Tradition des Landes, das schon früh im
20. Jahrhundert eine bedeutende Orientforschung mit interkulturellem
Verständnis hervorgebracht hat. |
|
3 Cf. Alain Brissaud, Islam und Christentum. Gemeinsamkeit und
Konfrontation gestern und heute, Düsseldort
(Patmos) 2002, Kap.7. [Islam et chrétienté. Treize siècles de cohabitation, Paris 1996]. 4 cf. Gereon Sievernich / Hendrik Budde (Hg.), Europa und der Orient 800-1900, Ausstellungskatalog 4. Festival der
Weltkulturen Berlin 1989, Bertelsmann Lexikon Verlag. Siehe dazu auch die Web-Präsentation
des Badischen Landesmuseums Karlsruhe: |
6. Der christlichen Tradition
Europas entsprach also keine Tradition der christlichen Einheit
gegenüber dem islamischen Feind; Krieg gab es wohl, aber keinen Glaubenskrieg,
und am wenigsten noch, wie in einigen Schulbüchern suggeriert wird, von
türkischer Seite, denn die unterworfenen Christen wurden weder zwangsbekehrt
noch vertrieben, auch hier wieder erwiesen sich muslimische Eroberer
konzilianter gegenüber unterworfenen Christen als es umgekehrt der Fall war.
Im Gegenteil, die christlichen Kirchen, allen voran die orthodoxe, genossen
eine relativ großzügige und zwar nicht nur religiöse, sondern auch
weitgehende kulturelle und rechtliche Autonomie (3). Ja, je länger Kontakt
zwischen dem Osmanischen Reich und Europa bestand, desto mehr assimilierten
sich die Orientalen an die Europäer, jedenfalls ihre Führungsschicht, wie
umgekehrt der Orientalismus (4) Mode in Europa
wurde. Auf der türkischen Seite ging dieser Europäisierungswunsch bis zum
Versuch eine Art französische Revolution – Republik, Laizismus und
Nationalstaat – an den Bosporus zu holen. Dass dabei viele jakobinische Illusionen über die Möglichkeit einer
Modernisierung im Hau-Ruck-Verfahren im Spiel waren – Illusionen angesichts
der sozialen und kulturellen Realitäten im Lande... und vor allem auf dem
Lande – wer will es der türkischen Elite vorwerfen? Ja doch, die Beitrittsgegner
werfen es ihr vor. Sie werfen dem einzigen immer noch – noch! – laizistischen muslimischen Land
vor muslimisch zu sein. Sie werfen seiner Elite vor, dass sie in den
vergangenen Jahrzehnten, in denen Europa der Türkei die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
vorenthielt, die Verwestlichung der Türkei nicht
vollendet hat, dass es dabei sogar Rückschritte gegeben hat. Wie sollte diese
Europäisierung jedoch stattfinden, wenn Europa die Hand ausschlägt, die sich
ihm nicht erst seit 1963 (Assoziierungsabkommen mit der damaligen EWG)
entgegenstreckt? |
Avec le temps, l’orientalisme
devint une mode en Europe, alors que les Ottomans s’occidentalisaient à
leur tour, jusqu’à une certaine limite qui fut ensuite franchie par ceux qui,
autour d’Ataturk, fondèrent la Turquie moderne. Leur idée d’une république
laïque moderne à la française était sans doute trop osée. Les opposants à
l’adhésion de la Turquie reprochent aux élites turcs de ne pas avoir accompli
leur mission. Mais comment auraient-ils pu européaniser leur pays alors que
l’Europe rejetait la main tendue depuis des décennies ? |
Der « kranke Mann am
Bosporus », aus einer französischen Europa-Karikatur von 1870. 5 zit. nach : Alain Quella-Villéger,
« Exotisme et politique : Istanbul, de Pierre Loti à Claude
Farrère », in : Alain
Buisine/Norbert Dodille (dir.), L’exotisme. Actes du
colloque de la l’Université de la Réunion 1988, Saint-Denis de la Réunion
1988 (Diff. Didier, Paris), p.126. 6 H.H. Benabed,
« La condition de la femme musulmane », in : Cahiers du Sud « L’Islam et l’Occident », 1947, reprint Marseille (Ed. rivages) 1982, p.219. 7 Brissaud, op.cit., p.260f. 8 Klaus Kreiser, „Das große Versprechen“, in: Die Zeit 11/9.3.2006,
S.90. 9 Zum kulturellen Uniformitätskonzept der Französischen Revolution, cf. u.a. Brigitte Schlieben-Lange / Wolfgang Geiger, »Freiheit, Gleichheit... Uniformität – Die Französische Revolution und das Projekt der Moderne«, in: Forschung Frankfurt, Zeitschrift der Universität Frankfurt, n°3/1989 (Oktober), pp.46-54.10 Z.B.: Josef Matuz, Das Osmanische reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt
(WBG) 1985, (4) 2006. – Suraiya Faroqhi,
Geschichte
des Osmanischen Reiches, München (Beck) 2000. (Nahostinstitut der Uni München ÖNOI) Sükrü Hanioglu, Preparation for a Revolution. The Young Turcs,
1902-1908, Oxford University Press 2001. Zu den beiden letzten Titeln cf. die Rezensionen
in 11 Imanuel Geiss, Geschichte im
Überblick, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1986, 1995, pp.367.-371 12 Klaus-Jürgen
Matz, Europa-Chronik. Daten europäischer Geschichte von der Antike bis
zur Gegenwart, München (Beck) 1999. 13 Öwikipedia Eintrag Abdülmecid |
7. Ja, soll sich die Türkei überhaupt
europäisieren? Wer glaubt ernsthaft, auch unter den
Beitrittsgegnern, dass sich die Türkei bei einer erneuten Ablehnung des
Kandidatenstatus schneller europäisiert hätte als jetzt unter dem Zwang von
klaren Verhandlungen? Die Ablehnung hätte diese Chancen erheblich sinken
lassen, wahrscheinlich sogar gegen null, und stattdessen dem Pendelschlag
zurück zur Reislamisierung der Gesellschaft einen
enormen Impuls und den radikalen fundamentalistischen Kräften noch einmal
eine echte Chance gegeben, die wiederum nur durch das Militär hätte vereitelt
werden können – dann auch im Auftrag der NATO und jener EU-Beitrittsgegner, die
sich im Nachhinein in ihrer self-fulfilling prophecy bestätigt gesehen hätten... Es ist ja
bezeichnend für die aktuelle Debatte in der Türkei selbst, dass gerade eine
eher islamisch orientierte Regierung die Angleichung an die geforderten
europäischen Standards durchsetzen will... oder muss. Doch auch diese paradoxe, in Wirklichkeit jedoch
erklärliche Haltung zur Modernisierung der Türkei ist nicht neu. Als in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Geist – für manche schon das Gespenst
– des Liberalismus nicht nur Europa sondern auch bereits die Türkei
heimsuchte, notierte der französische Schriftsteller Stendhal, er selbst ein
Anhänger Napoleons, wie grotesk die Idee sei, der Sultan bekäme eine
Verfassung vorgesetzt, denn die Türkei würde alles verlieren, was sie
ausmache. Dies notierte Stendhal in seinen Mémoires d’un touriste (1838)(5)
und war damals genauso symptomatisch wie es aktuell ist: Soll die Türkei für
manche nicht einfach das exotische Touristenland bleiben statt gleichberechtigtes
Mitglied in unseren Kreisen zu werden? Ein Jahrhundert nach Stendhal und von
uns aus vor fast sechs Jahrzehnten bilanzierte man dagegen in der sehr renommierten
französischen Zeitschrift Cahiers du Sud
in einer berühmt gewordenen Ausgabe zum Thema Der Islam und der Westen, dass die radikale Modernisierung
Atatürks, gerade auch im Hinblick auf die Situation der Frau, in der Türkei
erfolgreich, im Iran jedoch gescheitert sei – dies wohlgemerkt eine
Beobachtung aus dem Jahre 1947 (6). Schon die ersten in der Epoche der
Französischen Revolution eingeleiteten Reformen im Osmanischen Reich, die
zunächst größere religiöse Freiheiten zuließen, riefen einen Aufstand
arabischer Stämme unter Führung Ibn Sauds hervor, denen es sogar gelang Mekka unter ihre
Kontrolle zu bringen und 15 Jahre lang von den türkischen Truppen bekämpft
werden mussten – ein Vorspiel auf das 20. Jahrhundert. Auch konservative
Kräfte im Innern der osmanischen Macht leisteten erbitterten Widerstand gegen
jede als Verwestlichung empfundene Reform. 1839
wurde schließlich die von Stendhal als grotesk empfundene Charta erlassen,
die alle Untertanen ungeachtet ihrer Religion für gleich erklärte. Die
rechtliche und steuerliche Gleichheit wurde 1856 auf eine gesetzliche
Grundlage gestellt, eine umfassende Justizreform mündete in ein vom
französischen Vorbild inspiriertes Straf- und Zivilrecht sowie die Schaffung
neuer Gerichte mit nichtmuslimischen Richtern zur Überwachung der ordnungsgemäßen
Ausführung dieser Vorschriften. Doch »diese mutige Neuordnung fand [...]
weder in der islamischen Glaubensgemeinschaft noch selbst bei den
europäischen Großmächten einhellige Zustimmung. Letztere trachteten im
Grunde sowieso nur nach neuen Vorwänden, das Osmanenreich, den „Kranken
Mann am Bosporus“, wie es der Zar geringschätzig nennen sollte, noch mehr zu
zerstückeln.« (Alain Brissaud)
(7). Das Dilemma war jedoch für die Westeuropäer, dass sie die Osmanen gegen
die Expansionsbestrebungen Russlands unterstützen mussten, spektakulär im
Krimkrieg 1854-56. Der Sultan erbat sich dafür eine Rolle als gleichberechtigter
Partner im europäischen Konzert, wozu es freilich nicht kam. Klaus Kreiser hat dies jüngst aus aktuellem Anlass heraus in
der Zeit dargestellt (8). Der Druck von außen in Verbindung mit den nationalen Befreiungsbewegungen
brach die osmanische Herrschaft auf dem Balkan, die französischen und
britischen Kolonialinteressen die osmanische Oberhoheit in Nordafrika, alle
den Völkern und Regionen eingeräumten Autonomierechte halfen den Osmanen so
wenig wie auf der anderen Seite den Habsburgern die Einheit ihres Reiches zu
erhalten. Über diese nationalen und geopolitischen Konflikte geriet ein
Modernisierungsprozess von historischer Dimension in Vergessenheit, der
damals nicht ein randständiges muslimisches Land betraf, sondern die
Herrschaft des Sultans, der für sich die Nachfolge des Kalifats beanspruchte
und bis zu seinem Untergang weitgehend aufrecht erhielt. Die Revolution der
Jungtürken 1908/09 und später die Politik Atatürks intensivierten die Europäisierung
durch den zunehmend radikaleren Bruch mit der osmanischen Tradition bis hin
zur Gründung der Republik. Dieser Modernisierungsprozess hatte und hat jedoch
auch seine Schattenseiten, so lange Zeit eine Labilität der Demokratie, die
auf der institutionellen Ebene erst in jüngster Zeit behoben wurde,
kurioserweise unter konservativen Staatsführungen und Regierungen. Doch der
autoritäre Führungsstil der frühen Republikzeit wie auch der Nationalismus
im Inneren – mit schlimmen Folgen (Massaker an aufständischen Armeniern) und
Nachwirkungen bis heute (Kurdenproblem) – sind eine dialektisch negative
Seite der Moderne und quasi auch ein europäisches Importprodukt, nämlich des
französischen Revolutionsnationalismus jakobinischer
Prägung.(9) Abgesehen von der einschlägigen Fachliteratur (10) kann
man diese Essentials schon in Handbüchern der Geschichte nachlesen, etwa bei Imanuel Geiss, der die alte
»orientalische Frage« recht gut resümiert (11), und bezeichnenderweise wurde
die Osmanische Geschichte auch in die Europa-Chronik
der Beck’schen Reihe aufgenommen, z.B. mit einer entsprechenden Eintragung
zum Jahr 1839 hinsichtlich der Inthronisierung von Abdülmecit
I. und der Umsetzung der von seinem Vater vorbereiteten Reformen unter der
Bezeichnung Tanzimat-i-Hayriye
= »heilsame Neuordnung« (12). Einen informativen Eintrag dazu liefert auch Wikipedia.(13) Ein interessantes Interview zur Frage Modernität und
Tradition hat auch der Schriftsteller Zafer Senocak der Website Qantara.de gegeben, auf das ich
hier verweisen möchte.(14) |
Attend-on vraiment de la
Turquie qu’elle s’européanise ? Croit-on qu’elle s’occidentaliserait
plus après un nouveau refus de la candidature ? Cette attitude envers la
Turquie n’est pas nouvelle. Stendhal pensait déjà qu’une constitution pour
le régime du Sultan était une idée grotesque, la Turquie perdant ainsi son
identité. En revanche, en 1947, dans les Cahiers
du Sud, on se félicitait du fait que la modernisation radicale en Turquie,
notamment en ce qui concerne la condition féminine, réussissait plutôt tandis
qu’elle fut un échec en Iran. En fait, dès l’époque napoléonienne, l’empire
ottoman avait entrepris des réformes considérables en faveur de standards
européens sur les plans social, juridique et culturel, suivant d’ailleurs le
modèle français. A l’époque déjà, les pouvoirs européens se félicitaient peu
de cet alignement, préférant garder l’image intacte du « malade du Bosphore »
afin de légitimer le démembrement de son empire. Face aux aspirations coloniales
dans l’Afrique du Nord et aux nationalismes dans les Balkans, toutes les
réformes ne pouvaient endiguer la dislocation de l’empire. La révolution antimonarchique de 1908 et
l’établissement de la République plus tard prenaient comme modèle aussi le
nationalisme jacobin français, ce dont les méfaits restent un lourd handicap
encore aujourd’hui (la question kurde). |
|
8. Im historisch-kulturellen Argument der Beitrittsgegner
geht es nicht um die echten Probleme, sondern um die falschen. Eine
ins Fundamentale und daher vermeintlich Unveränderbare erhöhte, mit Europa
unverträgliche kulturelle Eigenheit steht im Zentrum der Argumentation der
Beitrittsgegner, real existierende konkrete Probleme sollen diese kulturelle
Differenz nur untermauern. Nein, es geht ihnen nicht um die konkreten
Bedingungen für die Aufnahme in die EU und auch nicht um die noch darüber
hinaus bestehenden Diskrepanzen, die es allerdings auch in sozialer und
ökonomischer Hinsicht mit osteuropäischen Beitrittsländern gibt. Jede weitere
Öffnung der EU verändert Europa, macht es heterogener, verschärft die
Probleme, gewiss. Doch welche Probleme drohen uns im umgekehrten Falle? Das
vereinte Europa entwickelt seit dem Sieg der Freiheit 1989 eine Dynamik der
Anziehung nach außen, die es nicht bremsen sondern allenfalls lenken kann.
Die Fundamentalgegner des türkischen Beitritts stützen sich deshalb nicht
primär auf konkrete Hindernisse, die dem Beitritt entgegenstünden, denn
diese könnten ja in dem langjährigen Beitrittsprozess überwunden werden, sie
müssen es auch. Die Frage ist, ob man es auf beiden Seiten auch ehrlich will. |
L’argument
historico-culturel, érigeant l’identité culturelle et ainsi l’incompatibilité
avec l’Europe sur un plan quasiment ontologique, c’est-à-dire de pérennité
immuable, construit de faux problèmes,
les vrais étant surmontables à la rigueur… Or, les problèmes réels sont
suffisamment difficiles à résoudre, c’est vrai, alors n’inventons pas
des obstacles artificiels basés sur des arguments historiques faux et une
confrontation culturelle fausse. La frontière religieuse et culturelle ne
fut jamais celle qu’on prétend y voir historiquement, la méditerranée était
toujours un pont. |
|
Es
geht also um ein falsches historisches Argument und eine falsche kulturelle
Konfrontation.
Weder endete Europa politisch jemals an seiner geografischen Grenze, noch
spielte die kulturelle Kluft je jene politische oder zivilisatorische Rolle,
die ihr gerne ideologisch zugesprochen wird. Zu Hochzeiten der politischen
Konfrontation mit der islamischen Welt, im Zeitalter der Kreuzzüge, blühte der Mittelmeerhandel mit Nordafrika und der Wissenschaftsaustausch
via Sizilien und Spanien. Der Scheck wurde als Form des bargeldlosen Handels
von italienischen Händlern in ihren Geschäften mit ägyptischen Partnern
nach Europa gebracht. Dies setzte ein großes Vertrauen der Kaufleute
beiderseits des Mittelmeers voraus, oft genug gegen die politischen Fährnisse,
die sie ihren jeweiligen Herrschern zu verdanken hatten. Letztlich war und
blieb das Mittelmeer zu allen Zeiten als »mittelländisches Meer« eine Brücke
und keine Kluft zwischen den drei Kontinenten. Alles kam und kommt darauf an,
diese geopolitische Gegebenheit vernünftig zum Guten statt zum Schlechten zu
nutzen. |
|
15 Cf. Udo
Steinbach, »Islam in Europa«, in: Wulf Köpke /
Bernd Schmelz (Hg.), Das gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur europäischen
Kulturgeschichte, herausgegeben vom Museum für Völkerkunde Hamburg, München (dtv) 1999, p.521. |
9. Und wie christlich ist Europa und welche Rolle spielt die
christliche Identität in der Europäischen Union? Fast nichts spezifisch
Christliches prägt unsere Verfassungen, unser Recht, unsere Institutionen.
Mag, wer will, in der „Menschenwürde“ des Art.1 unseres Grundgesetzes ein
christliches Echo finden, es wäre das einzige von Bedeutung und im übrigen
auch etwas, das die christlichen Kirchen solange oft genug missachteten, wie
sie selbst politische Macht hatten. Auch ein Bezug auf Gott in der Verfassung
macht diese nicht christlicher als das
Gottesgnadentum einst die Monarchen. Menschenwürde, Menschenrechte wurden
seit Ende des 18. Jahrhunderts nicht mit
sondern meist gegen die mit dem Ancien Régime verbündeten
Kirchen durchgesetzt. Die Trennung zwischen Religion und Staat fand in der
Türkei nur wenige Jahrzehnte nach der in Westeuropa statt, freilich sind wir
in Europa unserer Religion inzwischen weiter entfremdet als die Türken der
ihren – mit einigen Ausnahmen, etwa in Polen und Irland. Dem aufgeklärten
laizistischen Franzosen oder halbsäkularisierten Kirchensteuer zahlenden
Deutschen stört in Fernsehberichten von fünf Mal am Tag betenden Muslimen
eigentlich doch die Religiosität an sich, im Islam stört uns die
Glaubhaftigkeit des Glaubens, die allzu viel Heuchelei mit dem Christentum
bei uns demaskiert. Dabei hat die Türkei als einziges muslimisches Land eine
Trennung von Religion und Staat vollzogen, auch wenn in der Zwischenzeit
einiges an der Konfrontation zurückgenommen wurde. Der Gesellschafts- und
Kulturvergleich in dieser Debatte ist ohnehin asymmetrisch. Man stellt Islam
und Christentum gegenüber, beruft sich aber gleichzeitig auf die
Errungenschaften der Säkularisierung in Europa, und dies wohlgemerkt
vorwurfsvoll auch in Richtung Türkei. Ist Europa säkularisiert, sollte die
Religionsfrage eigentlich belanglos sein, und erstaunlicherweise hat
ausgerechnet der alte Türkengegner Österreich 1979 den Islam als
gleichberechtigte Religion inklusive Religionsunterricht an den Schulen
anerkannt, ebenso ist es in Belgien (15). Polemisch auf den Punkt gebracht:
In Sachen Einehe berufen wir uns auf das Christentum gegen die islamische
Polygamie (in der Türkei übrigens auch verboten), in Sachen Ehescheidung,
bald ebenso häufig wie die Eheschließung, auf die Werte der Aufklärung und
der Freiheit. Unser europäisches öffentliches Leben, unser politisches
System, unser Rechtssystem und davon abgeleitete moralische Normen basieren
gar nicht auf christlichem, sondern auf römischem – sollen wir sagen:
heidnisch-römischem – Recht, das ein weitaus bedeutenderer Faktor für unser
zivilisiertes Zusammenleben war und ist als die christliche Moral, auch
wenn dies blasphemisch anmutet. Es wird gerne vergessen, dass wir unsere
juristischen Grundlagen den römischen Rechtsprinzipien verdanken und der
Tatsache, dass diese auch in den germanischen Teilen Europas durchgesetzt
wurden, zuletzt übrigens durch den Code
civil der Franzosen, auch Code Napoléon genannt, von seinem Namensgeber
in Auftrag gegeben und unter seiner Vorherrschaft über Europa auch den
Deutschen aufgezwungen, nach dem Sturz Napoleons deswegen wieder verpönt, und
schließlich erst Ende des 19. Jahrhunderts im BGB verewigt. In dubio pro reo (Im Zweifel für den
Angeklagten), nulla poena sine lege
(keine Strafe ohne Gesetz), testis unus testis nullus
(ein Zeuge ist kein Zeuge), Unschuldsvermutung bis zum Beweis des
Gegenteils, Beweislast für die Anklage... und vieles mehr sind uns so
selbstverständlich gewordene Prinzipien, dass wir ab und zu Gefahr laufen,
uns nicht mehr daran zu erinnern, die aber jedenfalls nicht christlichen
sondern römischen Ursprungs sind. Übrigens würde das Prinzip pacta sunt servanda (Abmachungen sind einzuhalten) verletzt,
wenn die CDU/CSU wie einst angekündigt nach einer Regierungsübernahme die
deutsche Zustimmung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
im laufenden Prozess wieder zurückziehen wollte, dies wäre in der Außenpolitik
der Bundesrepublik auch ein einmaliger Vorgang. Doch im Augenblick heißt es
nun doch pacta sunt servanda, dank des Koalitionspartners in der Großen
Koalition. Daneben gibt es gleichwohl christliche Einflüsse in
unserem Rechtssystem, etwa die Reue als mildernden Umstand für die
Bestrafung, sie bilden aber gleichwohl nicht das Fundament unserer
Rechtsordnung. Auch unsere Demokratie und überhaupt unser Verständnis von
Res Publica wurzeln nicht etwa in den
frühchristlichen Basisgemeinden sondern in der heidnischen Antike. Als das
Christentum über das Heidentum im Römischen Reich siegte, entstanden weder
andere Formen von Politik, noch wurde irgendeine christliche Gleichheitsvorstellung
(die es ja gab!) in Politik oder Gesellschaft umgesetzt. Stattdessen entstand
eine Form von Theokratie mit einer »Doppelspitze«,
wie man heute modern sagen könnte, deren erster Eifer dem Kampf gegen
Häretikern in den eigenen Reihen galt (nach dem Konzil von Nicäa 325) bis hin zu blutigen Verfolgungen der Donatisten in Nordafrika. Der Hinweis auf die römische Rechtstradition in Europa
als eines der Argumente gegen den türkischen Beitritt ignoriert, dass die
Hälfte Europas und zum Teil auch Deutschland grundlegende Prinzipien
römischen Rechts erst aufnahmen, als dies auch im Osmanischen Reich versucht
wurde, nämlich im 19. Jahrhundert. Dass diese Modernisierung bei den Osmanen
rudimentär blieb, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in
Mitteleuropa im Laufe des 19. Jahrhunderts nur quälend langsam voranging, von
Osteuropa ganz zu schweigen. |
Et, de l’autre côté, quel
rôle le christianisme joue-t-il dans nos sociétés, dans les institutions
politiques, y compris européennes? Pratiquement aucun. Notre tradition juridique,
donc le fondement de la politique,
remonte au droit romain en ligne directe – au droit romain païen,
faut-il le souligner – et pas aux valeurs chrétiennes, dont quelques aspects
sont néanmoins intégrés, mais sans en constituant le fondement. Et les droits de l’homme,
rappelons-le également, furent acquis non pas avec mais contre les églises
soutenant l’Ancien Régime partout en Europe. De quel droit invoque-t-on
alors la tradition chrétienne dans un débat politique ? On est
hypocrite quand on se sert au fur et à mesure du christianisme pour critiquer
l’islam et des valeurs du laïcisme pour critiquer le fait religieux en tant
que tel. Dans tout ce débat on ignore volontairement que la Turquie reste
toujours le seul état laïc dans le monde musulman. |
16 Cf. Krzysztof Pomian, Europa und sene Nationen, Berlin
(Wagenbach) 1990 [Orig. französisch]. – Dazu: Wolfgang Geiger, »Von Europas
Anfang und Europas Ende«, in: Frankfurter Hefte/Die Neue Gesellschaft, Zeitschrift
der Friedrich-Ebert-Stiftung, 11/1990, 1048-1050. 17 Cf. Maria Todorova, Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes
Vorurteil, Darmstadt (WBG) 1999. [Orig. englisch] 18 Cf. Edward W.
Said, Orientalismus, Frankfurt a.M./Berlin/Wien
1981 [Orig. engl. 1978]. 19 Jean-Christophe
Ruffin, Das Reich und die neuen Barbaren, mit einem
Geleitwort von Adolf Muschg, Berlin (Volk&Welt)
1993 [Orig. Frankreich, 1991]. 20 Cf. Ulrike
Ackermann (Hg.), Versuchung Europa. Stimmen aus dem Europäischen Forum, Frankfurt a.M. (Humanities Onbline) 2003. |
10.
Es gibt einen zeitlosen Limes, eine imaginäre Zivilisationsgrenze in der
Ideologie des Abendlandes, die je nach Abgrenzungsbedarf durch Europa gezogen wurde. Vom
Mittelalter her entsprach sie der Grenze zwischen römischem und orthodoxem
Christentum, lateinischer und griechischer bzw. slawischer Schrifttradition,
und wurde später in aufgeklärter Version als die Grenze zwischen westlicher
Demokratie und östlichem Cäsaropapismus neu
definiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges bemühten sich etliche
Publizisten, die gefallene politische durch eine entsprechende zivilisatorische
Grenze zu ersetzen, die allerdings nach Nordosten verschoben wurde, so dass
das katholische Polen wieder Anschluss an den Westen fand, so z.B. bei
Krzysztof Pomian (16), aber etliche andere Namen
könnten auch genannt werden. Im Jugoslawienkrieg erlebten alte Balkanlegenden
neuen Auftrieb und man entdeckte die Drina als
Zivilisationsgrenze zwischen Ost und West wieder – wurde hier nicht einst das
Römische Reich geteilt? Im »Balkanismus« trafen
sich die alten Stereotypen gegen den
christlich-orthodoxen Osten mit denen des »Orientalismus«
(17). Dieser von Maria Todorova treffend gezogene
Vergleich kritisiert eine »Balkanisierung« der Balkanbewohner analog zur »Orientalisierung«
der Orientalen im Sinne der Analyse von Edward Said (18). Ein selektiver Rückgriff auf die Antike erlaubt auch
heute noch den Bezug zur römischen Antike im Rahmen der »Limes-Ideologie«,
wie sie Jean-Christophe Ruffin so eindrucksvoll analysiert
hat, und die mit dem Axiom des gewünschten historischen Stillstandes
einhergeht.(19) Die Osterweiterung der EU wurde von den Altmitgliedern
ohne Enthusiasmus, lange mit Verzögerungstaktik und letztlich ohne Konzept
zur Lösung der dadurch entstehenden Probleme betrieben, außer dem zähen
Ringen um die Begrenzung der an die Neumitglieder abzutretenden Finanzmittel
(20). Die Verhandlungen, wie sie jetzt mit der Türkei aufgenommen werden,
stehen von vornherein unter Bedingungen für den Beitrittsfall, die der Türkei
dann eine Sonderstellung in der Gemeinschaft zuweisen würden, die letztlich
nicht weit entfernt von der »privilegierten Partnerschaft« im Sinne der CDU
liegt, mit dem entscheidenden Unterschied freilich, dass diese Sonderstellung
dann am gemeinsamen Tisch und nicht im Vorzimmer wahrgenommen würde. |
Il y une frontière
civilisatrice dans l’imaginaire idéologique occidental, correspondant jadis
à la frontière entre chrétienté latine et orthodoxe, plus tard redéfini comme
étant celle entre démocratie occidentale et césaropapisme.
Dans la guerre yougoslave on a revitalisé les stéréotypes du »balkanisme« où se mélangent ceux contre l’orthodoxie
avec ceux de »l’orientalisme«. Ainsi a-t-on déjà hésité à accepter l’élargissement
de l’UE vers »l’autre Europe«. Le recours sélectif à l’antiquité romaine,
dans le discours identitaire occidental, relève d’une idéologie »limes« comme
Jean-Christophe Ruffin l’a si bien analysée. |
|
11. Längst ist Europa über Europa
hinausgewachsen, mit den ehemaligen französischen und britischen Kolonien gibt es
spezielle Assoziierungsabkommen, Marokko ist wirtschaftlich fast schon ein
EU-Mitglied und die Franzosen würden es gerne sehen, wenn diese Anbindung
noch enger würde. Verständlicherweise sieht Staatspräsident Chirac im
ehemals französisch beherrschten Maghreb den naheliegenderen
Partner für Europa – nicht Algerien, wegen der Menschenrechtslage, aber
Marokko schon. Und schon längst wird Andalusien wieder zu einer Brücke über
das Mittelmeer, warum nicht auch der Bosporus? Er ist es ja schon längst, nur
nicht in unserem Bewusstsein. So ist die EU bereits dabei, das römisch-mediterrane
Erbe geopolitisch wieder aufzunehmen, auch wenn sie es nicht wahrhaben will.
Übrigens kämpften auch schon die Römer mit zweifelhaftem Erfolg im Irak –
Pardon: Mesopotamien. Wenn die EU die negativen Konsequenzen ihrer wachsenden
Bedeutung und ihrer wachsenden Attraktivität und des sich dadurch
erweiternden Horizontes so gering wie möglich halten will, muss sie die
positiven Faktoren mit aller Kraft unterstützen. Ein inspirierender Rückblick
auf die Vergangenheit kann statt der ständigen Neudefinition des Limes auch
den Globalisierungsprozess ins Auge fassen, den das Imperium Romanum
durchmachte, und die Pax Romana
unter diesem Aspekt und nicht nur unter ihrem kriegerischen Zustandekommen
betrachten. Übrigens erweiterte sich das Römische Reich nicht nur
kriegerisch, sondern auch durch freiwillige Beitritte, etwa des Königreichs
Pergamon in Kleinasien, und traten die römischen Legionen nicht überall nur
als Eroberer auf, sondern manchmal auch als gerufene Helfer, obwohl sich
dieser Unterschied dann oft verwischte, wie etwa in Palästina um 60 vor
Christus. |
L’Europe a déjà franchi ses
frontières »naturelles«, le Maroc est presqu’un membre de lUE. On comprend
que le Président Chirac souligne les rapports étroits entre la France et le
Maghreb, mais pourquoi fermer les yeux aux rapports étroits qui existent à l’autre
extrémité de la Méditerranée ? Etre
réaliste aujourd’hui et garder une
vision historique en même temps, ça nous renvoie à l’héritage romain, non
pas dans le sens de l’idéologie »limes«, mais pour y puiser des inspirations
en ce qui concerne le côté justement pacifique et pacifiant de la Pax Romana, une première mondialisation politico-culturelle,
excepté, bien sûr, le fait de sa naissance par la conquête. |
Ó 2005/2006 W. Geiger |
12. Aufrichtigkeit
gegenüber der Vergangenheit... ... ist eine Forderung, der sich
niemand entziehen kann. Für die Türkei bedeutet dies, dass sie sich ihrer
jüngeren Nationalgeschichte unvoreingenommen stellen muss und vor allem dem
Massaker an den Armeniern im 1. Weltkrieg, bei dem die Deutschen auch „keine
rühmliche Rolle gespielt haben“, wie es im Bundestag dazu hieß. Aber der
berechtigte Ruf in Richtung Türkei hat auch auf seine Glaubwürdigkeit zu
achten, denn einen ähnlichen Ruf in Richtung Japan in der Diskussion um seine
Aufnahme in einen erweiterten UN-Weltsicherheitsrat ist ja nicht zu
vernehmen, dabei wäre dies sehr wohl ebenso angebracht. Hätte es nicht die
chinesischen Proteste der letzten Zeit gegeben, denen in der Presse allzu
rasch eine Instrumentalisierung der Vergangenheit im Kampf um wirtschaftliche
Interessen unterstellt wurde, wäre das sogar überhaupt kein Thema mehr. Die
Entschuldigung von offizieller japanischer Seite für seinen Anteil am 2.
Weltkrieg reicht hierzu denn auch nicht aus, denn dass der 2. Weltkrieg auch
in Ostasien stattfand, ist allzu bekannt. Nicht bekannt, weil man sich dazu nicht bekennt, sind dagegen in Japan die Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit (im Sinne der Rechtsprechung des
Nürnberger Prozesses), die Japan über die Kriegshandlungen hinaus verübt hat
und die leider nur allzu viele Parallelen zu dem zeigen, was damals in Europa
geschah und zur deutschen Schuld gehört (womit keine Kollektivschuld gemeint
ist). Eine seltsame Parallele zwischen beiden Phänomenen liegt auch darin,
dass beide Staaten – die Türkei und Japan – Verbrechen in den beiden
Weltkriegen begingen, in denen sie jeweils Verbündete der Deutschen waren. 1.1.2005 / 24.3.2006 Wolfgang Geiger |
La sincérité face à l’histoire
est obligée : une Turquie qui s’obstine à nier ou à minimisier
les massacres des Arméniens ne pourra pas intégrer L’U.E. Mais il faut aussi
que les Européens soient sincères en exigeant cela : la même position
s’impose dans le cas du Japon et de ses crimes de guerres en Chine pendant la
Seconde Guerre mondiale, si le Japon veut un jour siéger au Conseil de
sécurité de l’O.N.U. Sans les protestations récentes en Chine – trop vit
imputées à des motifs autres que prétendus – qui en parlerait aujourd’hui ?
Les excuses officielles du côté japonais ne suffisent point si elles se
contentent à s’excuser d’avoir fait la guerre. Car ce n’est pas de cela dont
il est question mais de crimes contre l’humanité au sens du procès de
Nuremberg. |
Hinweis auf die diesbezügliche Debatte in
der Kommune 1/05 mit Artikeln zu Europa
von Joscha Schmierer, Adolf Muschg und rund um die Verleihung des
Hannah-Arendt-Preises an Ernst-Wolfgang Böckenförde. Weitere
Links zu Beiträgen im Internet: · Beitrag von
Claus Leggewie auf Eurozine · Dossier auf Qantara |
|
|
|
|
|
|
2. Von Europas Anfang und Europas Ende Krzysztof Pomians
Europavision (und nicht nur seine) 1990-2009 Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde ein
politisch-kulturelles Europaverständnis im Westen in Frage gestellt, das sich
bis dahin bequem vom Osten abgrenzen konnte. Auf einmal aber war Europa wieder
ein Kontinent und zwar nicht mehr nur in geographischem Sinne.
Westeuropäische Intellektuelle und Politiker hatten es in den ersten Jahren
schwer, das alte Europabild mit der neuen Realität in Einklang zu bringen. An
die verschwundene Grenze traten nun neue Grenzen, kulturelle – ja,
zivilisatorische! –, die angeblich ihre tiefe historische Fundierung hatten,
gegenüber welcher der Eiserne Vorhang historisch gerade mal eine kurzfristige
Angelegenheit war. Da wurde die Zivilisationsgrenze an den Ostgrenzen Polens
und Ungarns festgemacht und der Ausbruch des Jugoslawienkriegs ließ die Drina als Scheidelinie zwischen Gut und Böse seit der
Teilung des Römischen Reiches an dieser Stelle im 4. Jh. erscheinen. Nun
konnte man auch nicht mehr von Ost- und Westeuropa sprechen, sondern
Mitteleuropa entstand neu wie Phönix aus der Asche und damit verbunden eine
gewisse Nostalgie nach dem alten Habsburg. Im Zusammenhang damit wurde auch
„Ostmitteleuropa“ erfunden, damit Polen und den verlorengegangenen
Ostgebieten des Habsburger Reiches eine geopolitische Position zugewiesen
werden konnte. Die Logik der Verschiebung der europäischen Grenze entlang
einer mehr oder weniger imaginären Scheidelinie hört nicht auf, im Augenblick
rückt der Schwarzmeerraum näher heran, die Zivilisationsgrenze liegt jetzt
zwischen der Urkaine und Russland und Georgien war
doch eigentlich schon in der Antike in die griechische und damit europäische
Welt einbezogen (als das Land Kolchis)… oder etwa
nicht? |
|
Einer derjenigen Akademiker und Intellektuellen, denen
das Thema Europäische Identität am meisten am Herzen liegt, ist zweifellos
der in Frankreich lehrende Pole Krzysztof Pomian.
In einem 2007 in den Niederlanden erschienenen Beitrag für eine Sammlung von
Texten „großer Denker über Europa“, der 2009 von der deutschsprachigen
Zeitschrift Transit übernommen und
dann auch am 24.8.2009 von Eurozine ins Internet gestellt wurde, wird jedoch
deutlich, wie schwer es fällt das neue Europa nicht in alten Klischees zu
denken. Tatsächlich unterscheidet sich dieser Text nur wenig von seinem Buch
zur selben Frage aus dem Jahre 1990: Am leichtesten ist es Europa in
Abgrenzung zu den Anderen zu definieren, viel schwerer das Gemeinsame, eine
„Identität“ zu bestimmen. Bei beidem – Abgrenzung wie positive Definition –
tauchen jedoch uralte Gemeinplätze wieder auf: Aus sich heraus definiert ist
Europa im Wesentlichen christlich, hat aber eine Vorgeschichte bis ins 1.
Jahrtausend v. Chr. (griechisches und römisches Erbe) und erfährt später eine
zivilisatorische Scheidung, die der Teilung des Römischen Reiches
entspricht: Der katholisch-lateinische Westen mit seinem Außenposten in
Ostmitteleuropa (Polen und Baltikum) wird zum Träger des europäischen
Prinzips, der orthodox-byzantinische Raum und später natürlich Russland
nehmen an dieser Entwicklung nicht teil, die dann mit der Aufklärung das alte
in das moderne Europa hinübertransportiert. Der jüngste Beitrag ist kürzer,
in vielem moderater als das Buch von 1990, doch die inhaltlichen
Übereinstimmungen machen auch einen Rückblick auf das Buch von 1990 wieder
interessant. Der nachfolgende Text war eine ausführliche Besprechung
von Europa und seine Nationen,
1990. |
|
|
©1990/2009
W. Geiger Erstmals erschienen
in: Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte 11/1990,
S.1048-1050. |
Wolfgang Geiger Von
Europas Anfang und Europas Ende Nach dem Ende der Ordnung von Jalta
fordert das neue Europa, wie es durch die Revolution im Osten entstanden ist,
zu einem neuen Anfang heraus. Das ganze Europa soll es fortan sein, hört man
nun allenthalben - aber wo beginnt und wo endet Europa? |
Die Rechtschreibung
des Originals wurde beibehalten. |
Krzysztof Pomian: Europa und seine Nationen. Aus dem Französischen von Matthias Wolf. Kleine
kulturwissenschaftliche Bibliothek, hrsg. von Ulrich Raulff.
Berlin (Wagenbach Verlag) 1990; 144 Seiten, |
Der 1934 in Warschau geborene
und seit etlichen Jahren an der ehess (Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales) in Paris lehrende Krzysztof Pomian hat versucht, eine rasche Antwort darauf zu
finden. »Die Geschichte Europas ist
die Geschichte seiner Grenzen«, schreibt er gleich im Vorwort zu seinem
jüngst erschienenen Buch und fügt hinzu: »Und seiner Inhalte, die ihm durch
Taten und Worte aufgezwungen wurden.« Europa als
Opfer der Geschichte? — »Es ist also die Geschichte der Konflikte«, fährt der
Autor fort, und präzisiert sogleich: »Der Konflikte zwischen Europa und dem,
was es von außen her zusammenhielt, ja zusammenpreßte.« Europa und seine Feinde — dies
wäre also die eine Leitlinie. Die andere verläuft innereuropäisch, es ist
der Konflikt »zwischen den zu Einheit und Uniformisierung
drängenden Tendenzen und jenen, die auf Spaltung und Teilung abzielten« (S.
7). Daher der Titel des Buches: Europa und seine Nationen. |
|
|
Pomians
»Gesamtansicht« (S. 7) der europäischen Geschichte beginnt mit der römischen
Antike, genauer: mit »Rom und den Barbaren«. Denn der Kampf zwischen einer
kulturell (weil imperial) geeinten Zivilisation und den an ihren Grenzen
anstürmenden Barbaren prägt das Muster der Geschichtsphilosophie, der Pomian anhängt. Was in der Antike ein Nord-Süd-Konflikt
war, wird später dann zum Ost-West-Konflikt. Auf der einen Seite standen des
Kaisers »Legionen, welche mit wechselhaftem Glück für den Schutz der Grenzen
des Reiches und für die Aufrechterhaltung des Friedens im Innern sorgten«,
auf der anderen »zahllose Stämme mit jeweils verschiedenen Sprachen«, die
sich »permanent untereinander bekämpften, jeder hatte seinen eigenen
Häuptling, seine Krieger, seine Priester, Sitten, Gebräuche und heidnische
Vorstellungen, die sich lediglich auf mündlichem Wege von Generation zu
Generation tradiert hatten« (S.9-10). - Hier wird schon deutlich, wie der
Philosoph Pomian die Historie auf der Suche nach
sinnstiftenden Tendenzen verklärt, wo der Historiker Pomian,
wäre er aufrichtig, feststellen müßte: Den »Frieden
im Innern« gewährleistete die römische Armee so gut wie nie, ganz im
Gegenteil begann und endete das Cäsarentum als
Bürgerkrieg der Rivalen um den Thron; die letzten drei Jahrhunderte bis zum
Ende Westroms werden nicht umsonst die Zeit der Soldatenkaiser genannt,
unterbrochen allenfalls durch kurze Perioden der Kontinuität. Und Pomians Charakterisierung der »Barbaren«? Die erinnert
an die Beschreibungen Afrikas und seiner Bewohner durch die Kolonialisten
des 18. und 19. Jahrhunderts. In verblüffend ähnlicher Weise hat der Autor
denn auch eine Erklärung für die Völkerwanderungen jenseits des Limes
gefunden: Es waren die Barbarenhäuptlinge, die den Römern Sklaven verkauften
und dafür Kriegszüge gegen die Nachbarn unternahmen. Dies führte dazu, daß »die Nomaden ihre traditionellen Weidegebiete verlassen
mußten; daß seßhafte Völker von ihren angestammten
Wohnsitzen vertrieben wurden und sich, auf der Suche nach neuem Siedlungsraum,
in marodierende Banden verwandelten (...)« (ebd.). Wie auch bei dem
Sklavenhandel des 18. Jahrhunderts sollen offenbar nicht die Sklavenhalter
schuld gewesen sein, sondern die »Barbaren« selbst, die sich gegenseitig zu
Sklaven machten und verkauften. |
|
|
Die Völkerwanderung brachte
dennoch das Ende des Römischen Reiches, zumindest seines westlichen Teils.
Die eindringenden Barbaren konnten sich jedoch an die vorgefundene
Zivilisation assimilieren und unter Karl dem Großen entsteht dann der »Zivilisationskern
Europas« (S. 17). Dieser besteht trotz innerer Spannungen in der Einheit des
Glaubens und der Erneuerung des imperialen Prinzips durch die Kaiserkrönung,
die Karl zum weltlichen Oberhaupt der Christenheit erkor. Auch hatte das neue
Reich laut Pomian die erstaunliche »Fähigkeit, neue
Völker zu assimilieren« (S. 17). Was er genau damit meint, bleibt unklar,
vielleicht die »Bekehrung« der Sachsen, die zwanzigtausend von ihnen das
Leben kostete? Oder war dies nur im erweiterten Rahmen der »Rückeroberung der
Territorien« zu sehen, »in denen das Christentum durch die Völkerwanderung
ausgelöscht worden war« (S. 20)? Pomians hinter
der nüchternen und nachvollziehenden Beschreibung der Fakten verborgene, aber
nichtsdestotrotz deutliche Rechtfertigung der missionarischen und
militärischen Expansion der Franken zeigt sich nicht zuletzt in der Wortwahl:
»Durch seine Expeditionen drängt Karl d.Gr.
die heidnische Welt zurück (...). Gleichwohl bleibt der karolingische
Raum auch weiterhin von Angreifern nicht verschont; diese verwüsten
und entvölkern ganze Landstriche« (ebd.. Hervorheb, von mir). In gleicher Weise skizziert der
Autor die Eroberung des Baltikums durch den Deutschen Orden, die in
blutigster Kreuzzugmanier durchgezogen wird, als »Ausdehnung der Grenzen
Europas« durch die »Christianisierung der letzten Heiden in Preußen (...),
Litauen und Samogitien« (S. 26). Zu den Feinden
Europas gehören aber nicht nur die »heidnischen Völker«, sondern auch das
orthodoxe Christentum seit dem Bruch zwischen Rom und Byzanz im 11.
Jahrhundert, der eine Grenze markiert, deren »Verlauf (...), von
unbedeutenden Veränderungen abgesehen, bis heute Gültigkeit haben wird« (S.
21). – »Seit dem 12. Jahrhundert ist Europa eine auf Einigung hinstrebende
Realität, die die gesamte lateinische Christenheit in gleichem Maße
betrifft« (S. 32, Hervorheb, von mir). Diese
»Herausbildung Europas« bedeutet die »dreifache Bekehrung jener Völker, die
außerhalb des alten Limes geblieben waren (...), nämlich zum römischen
Christentum, zur lateinischen Sprache und zur Schrift« (ebd.). Während Pomians ideologisches Weltbild in der Antike mit groben
Zügen geschnitzt ist, wird es immer subtiler, je weiter es sich der
Gegenwart nähert. In dem letztgenannten Zitat suggeriert er dem Leser, nur im
lateinischen Raum der Christenheit sei die Schriftkultur eingeführt worden,
was natürlich nicht stimmt, denn im Bereich des orthodoxen Christentums auf
dem Balkan spielte das aus dem Altbulgarischen hervorgegangene
Kirchenslawisch die gleiche Rolle wie das Latein im Westen. |
|
|
Mit dem Ende der religiösen
Einheit des katholischen Europa geht der Träger der Universalität von den
Priestern auf die humanistischen Gelehrten über, die Laien sind; während
der Buchdruck ihre Kommunikationsmöglichkeiten ungeahnt erweitert,
ermöglicht er aber auch die nationale Ausdifferenzierung der einzelnen
Sprachen, die jetzt in dem Maße, wie sie das Latein ersetzen sollen, zu
Hoch- oder Schriftsprachen uniformiert werden müssen. Dies hat Pomian ganz gut auf den Punkt gebracht. Interessant
sicherlich auch die Feststellung, daß die
Scheidelinie zwischen Katholiken und Protestanten im 16. Jahrhundert
ungefähr dem antiken Limes folgt, aber was ist daraus zu schließen? Nichts, denn
sowohl Polen bleibt bekanntlich erzkatholisch, so, wie auch Frankreich um ein
Haar protestantisch geworden wäre. Aber das konfessionell gespaltene Europa
wird nach wie vor durch gemeinsame Feinde zusammengehalten: die Türken und
die Russen, die in dieser Funktion die Araber und Mongolen ablösen. Obwohl Rußland gerade Mongolen und Tataren im Osten von Europa
ferngehalten hat, gehört es für Pomian nicht zu
Europa: »Aufgrund seiner anderen Religion, sozialen Ordnung, Kultur und
Geschichte gehörte Rußland, wie zuvor schon das
Moskowiter-Reich, (...) bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts nicht zu Europa«
(S. 85). Während der türkische Vormarsch jedoch gestoppt werden konnte,
begann mit dem Verfall der einstigen Großmacht Polen, der nordöstlichen
Grenzfeste Europas (cf. S. 54), der
Ost-West-Konflikt, der für Pomian einem jahrhundertelangen heilsgeschichtlichen Kampf zwischen
Gut und Böse gleichkommt: Dessen »beide Pole sind jetzt der Atlantik und der
Ural, Großbritannien — das später durch Amerika abgelöst wird — und Rußland, die angelsächsische Welt und die slawische Welt,
Religionsfreiheit und Orthodoxie, parlamentarisches Regime und zaristische
Autokratie. Die Trennungslinie verläuft immer noch mitten durch Deutschland,
diesmal allerdings in vertikaler Richtung, etwa in Höhe der Elbe. Damit aber
markiert sie eine politische und militärische Spaltung Europas, wie sie bis
heute besteht« (S. 57, Hervorheb, von mir).
Dieses auf das 18. Jahrhundert zurückprojizierte Jalta-Syndrom entbehrt
wohlgemerkt jeder historischen Grundlage. Großbritannien war nicht nur
alles andere als ein Staat, in dem religiöse und geistige Toleranz
herrschten (so wenig wie in Frankreich), im Gegensatz zum Preußen des 18.
Jahrhunderts, östlich dieser ominösen Linie, und offenbar in Pomians manichäistischem
Weltbild zur slawischen Autokratie gehörig, wie es die französische
nationalistische Geschichtsschreibung nach 1870 und nach 1945 so kräftig
gezeichnet hat. (Wo Pomian die Polen bei dieser
Aufteilung einordnet, bleibt unklar). So erfindet der Autor an anderer
Stelle auch eine deutsche »Abneigung gegen die französischen Lumières« im
18. Jahrhundert, die er dann aber mit einer angeblichen »Empfänglichkeit
für die rousseauisti-sche Richtung« konterkariert
(S. 103). Gemeint ist wohl die »romantische Seele« der Deutschen. |
|
|
An einem Punkt ist Pomian bereit, seine Schwarzweißmalerei zu relativieren:
darin nämlich, daß Peter der Große mit seiner Westorientierung
Rußland zumindest den Weg nach Europa gewiesen habe,
um sogleich aber diese Relativierung ihrerseits zu relativieren: »Bedeutet
das, daß Rußland zu einem
Teil Europas geworden ist? Ja, wenn man an seine intellektuellen Eliten, an
seine Schriftsteller, an seine Künstler denkt. (...) Verneinen muß man die Frage, sobald man sich seiner Regierungsform
zuwendet, einer Monarchie, die im selben Augenblick, als sie sich daran
machte, das Land zu europäisieren, ihren autokratischen Charakter verstärkte
(...). Nein, muß die Antwort ebenfalls lauten, wenn
man die russische Gesellschaft betrachtet, in der die Leibeigenschaft immer
noch fortbesteht (.. .). Und nochmals nein, wenn man
feststellt, wie lebendig hier das orthodoxe Christentum ist, das
grundsätzlich alles ablehnt, was aus der lateinischen Welt kommt« (S. 87).
Dieselbe antieuropäische Haltung sieht Pomian
ferner sogar bei jenen Völkern orthodoxen Glaubens, die sich im Laufe des
19. Jahrhunderts von der Türkenherrschaft befreien. |
|
|
Auf der anderen Seite wird in
Europa mit der Französischen Revolution und der Wende zum 19. Jahrhundert die
»République des Lettres«, die Internationale der Intellektuellen, welche
»die zweite Einigung Europas« herbeigeführt hatte, durch die Konstituierung
der Nationalstaaten zerstört, wenn auch die europäischen Eliten weiterhin
»vom Gefühl einer Wertegemeinschaft durchdrungen waren« (S. 106). Daß es die »Intellektuellen«, nämlich Philosophen,
Juristen und Historiker waren, die die Nationalideologien formulierten, wird
von Pomian zugunsten eines dumpfen universalgeschichtlichen
Determinismus hin zur Nationenbildung verdrängt, deren »Epigenese
(...) mehr als tausend Jahre zuvor begonnen hatte, als die Barbaren den Limes
überquerten« (S. 93). Wenn er auch diese partikularistische Entwicklung
bedauert, so sieht er den Nationalstaat dennoch »als höchste
Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft« (S. 125). Ist dies aber nur
chronologisch oder wertend gemeint? |
|
|
Mit der Oktoberrevolution, die
Pomian zum »Staatsstreich der Bolschewiki« herunterspielt,
bricht schließlich das letzte Kapitel der Bedrohung Europas an, denn »die
Sowjetunion (...) stellte sich außerhalb Europas« (S.137). Daß die westeuropäischen Mächte militärisch im russischen
Bürgerkrieg intervenierten, bleibt völlig unerwähnt. Dann werden die
Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs schon auf die des Ersten zurückprojiziert:
»Aus dem Ersten Weltkrieg geht Europa geschwächt und zerrissen hervor und ist
nicht mehr in der Lage, selbst über sein Schicksal zu bestimmen« (ebd.). Wer
aber bestimmte denn an seiner Statt? Hier wird Europa schlicht und einfach
aus seiner Verantwortung entlassen und, wie eingangs schon angesprochen, pauschal
zum Opfer erklärt, wo Schuld zu suchen, Fehlentwicklungen zu analysieren
wären. Dies aber de facto ausgeblendet zu haben, ist der Hauptkritikpunkt an Pomians posthistorischer Universalgeschichte. Deren
letzten Akt erkennt der Autor im Banalen: der Uniformierung des Lebensstils
innerhalb der EG: »Trinke man doch im Norden Wein, verwendet Olivenöl und ißt das ganze Jahr über Obst und Gemüse, während sich
Bier, Butter und Roggenbrot auch im Süden durchgesetzt haben« (S. 143). Ist
dies die Basis für eine »dritte europäische Einigung«, ein
»Zivilisationskern« wie der des Karolingerreiches? Mehr als die abstrakte
Hoffnung, die man sicher teilen kann, vermag der Autor leider nicht zu
liefern, denn es mangelt ihm zumindest in dem vorliegenden Buch an der
Fähigkeit, vor seinem ideologischen Background auch die Realitäten vor Augen
zu erkennen. So ist es absolut unverständlich, wie Pomian
bei seiner Schönfärberei der gefestigten Demokratien im Westen von einem
»nahezu vollständigen Verschwinden totalitärer Rechtsparteien aus dem politischen
Leben« (S. 143) sprechen kann, und dies in Frankreich! Dabei liefert er dann
und wann doch fruchtbare Ansätze, die allerdings nicht weiterentwickelt
werden, so als hätte er vor den Folgen Angst, etwa bei der Erkenntnis, die
wie ein Splitter aus dem Text herausragt: »Natürlich [!] birgt Europa eine
Finsternis in sich, die nur dann sichtbar wird, wenn es mit anderen Kulturen
zusammenstößt« (S. 127). |
|
|
|
|
|
2006 hat Clio online ein Themenportal Europäische Geschichte eingerichtet mit Beiträgen
von Historikern, Rezensionen und ins Web gestellten Büchern, die z.T. erst vor kurzem als Print
herausgekommen sind, sowie historischen Quellen. |
|
Die Zeitschrift Der Bürger im Staat (BIS), herausgegeben von der Landesanstalt für Politische Bildung
Baden-Württemberg, hat 2005 ein Schwerpunktheft Europa und die Türkei herausgegeben, Website und direkter
Download über die angegebenen Verknüpfungen. Interessant ist auch das ältere
Heft Die Türkei vor den Toren Europas
von 2000. |
|
|
|
|
|
Home/ |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|