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Historia interculturalis |
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« Fenêtre » Takashi Naraha Clermont-Ferrand |
Jüdische Geschichte/Israel und Palästina
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Hintergrundinformationen, Dokumente und Links zu Palästina und Israel von Wolfgang Geiger · Aktuelle Analysen · Hintergrundanalysen |
Spektroradiometrisches Satellitenbild des
Nahen Osten mit den eingezeichneten Grenzen von 1949. |
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Last update:27.05.2015 |
Aktuell: Schicksalswahl?
Die Wahl zur Knesset am 17.4.2015 (im Anschluss) Rückblicke: Der
zweite Gazakrieg 2012… und die Folgen (direkt dorthin) Der
dritte Gazakrieg 2014 (direkt
dorthin) |
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Hintergrund: Neu!
Netanyahus Mufti. Zum
historischen Hintergrund von Netanyahus Äußerung über den Mufti von
Jerusalem, Hitler und den Holocaust (direkt
dorthin) |
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Auf
angeschlossenen Seiten: |
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F Das ganze Dossier der Chronologie
und Einzeldarstellungen, Links und Bibliographie ist jetzt auf
www.geschichtslehrerforum.de besser zusammengestellt und wird dort
weitergeführt. |
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Schicksalswahl? Die Wahl zur Knesset am 17.3.2015 Israel ist politisch in der Welt
isoliert wie nie zuvor, Gespräche mit den Palästinensern finden nicht mehr
statt, der Bevölkerung geht es finanziell immer schlechter, Premierminister
Netanyahu konnte seine Regierungsmehrheit nicht mehr zusammenhalten – in
dieser Situation prognostizierte die Zeitung Haaretz (und nicht nur sie)
eine Schicksalswahl für die Zukunft des Landes. Herausgekommen ist: Weiter
so! Ist das das Schicksal? |
Ergebnis der Knesset-Wahl 2015: 120 Sitze - Parteien und Spitzenkandidaten: Likud (Netanyahu): 30 Zionistische Union (Herzog-Livni): 24 Vereinigte
Arabische Liste (Odeh):
13 Yesh Atid (Lapid): 11 Kulanu (Kachlon): 10 Habayit Hayehudi
(Bennett): 8 Schas (Dery): 7 Yisrael Beitenu (Liebermann): 6 Meretz (Galon): 5 Wahlbetreiligung; 72,3% |
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Strukturelle Analyse: Die Entwicklung der Parteienlandschaft |
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Die seit Jahren
eingeschlagene politische Entwicklung in Israel hat sich nicht nur
fortgesetzt, sondern sogar verstärkt: Eine immer größere Zersplitterung der
Parteienlandschaft bei Schwächung der beiden großen (aber immer kleiner
werdenden) Lager, mit einer allgemeinen Tendenz nach rechts. Die Arbeitspartei,
faktisch die Gründerin Israels unter David Ben Gurion und jahrzehntelang
unangefochtene Regierungspartei, hatte in den letzten Jahrzehnten mehrfache
Umstrukturierungen und Umbenennungen erfahren und konnte es sich jetzt schon
nicht mehr leisten alleine anzutreten, sondern schloss ein
Mitte-Links-Bündnis mit der Partei der ehemaligen Außenministerin Zipi Livni, das
sich mit einem gewissen nationalen Unterton „Zionistische Union“
nennt. In der Zeitung Haaretz fragte man angesichts
dieser Entwicklung, ob die Linke inzwischen nicht ganz abhanden gekommen sei,
mit Ausnahme der kleinen Linkspartei Meretz.
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Zipi Livni war zuletzt
Justizministerin im letzten Kabinett Netanyahu und mit-, wenn nicht
hauptverantwortlich für das Auseinanderbrechen der Koalition im Dezember 2014
über die Frage einer Verfassungsänderung, die Israel klarer als bisher als „jüdischen
Staat“ definieren sollte. Eigentlich hat Israel gar keine richtige
Verfassung, worum es geht, ist die Definition Israels in der
Unabhängigkeitserklärung von 1948. Livni gehörte
zunächst der Partei Kadima („Vorwärts“) an,
die 2005 als Abspaltung vom konservativen Likud-Block entstand und
eine Zeit lang so etwas wie die Hoffnung auf eine neue Mitte als Ausweg aus
der Lager-Polarisierung verkörperte. Die Spaltung geschah zum Zeitpunkt und
ursächlich wegen der Räumung des Gaza-Streifens 2005 unter Premierminister Ariel
Sharon, der sich damit für alle überraschend vom Falken zur Taube
gewandelt hatte, und dem seine Partei, der Likud, darin nicht folgen wollte.
Mit Sharon verfolgte Livni energisch die Räumung
Gazas. Nach der Spaltung bekam Kadima 2006 mehr
Sitze (26) als der Likud (12) in der Knesset und bildete eine Koalition mit
der Arbeitspartei. Es schien einen Moment lang so, als käme es zur
Institutionalisierung einer neuen Führung in der Mitte. Nach dem Rücktritt
von Premierminister Ehud Olfert (Nachfolger
Sharons, nachdem dieser im Januar 2006 einen Schlaganfall erlitten hatte)
wegen einer Korruptionsklage aus seiner Zeit als Bürgermeister von Jerusalem,
konnte Livni die Koalition mit der Arbeitspartei
und zwei kleineren Parteien wegen Meinungsverschiedenheiten nicht
aufrechterhalten, aus der Neuwahl der Knesset 2009 konnte Benyamin Netanyahu
für den Likud (27 Sitze) eine Koalition ohne Kadima
(28 Sitze) zusammenbringen, an der sich auch seltsamerweise die Arbeitspartei
(13 Sitze) unter Edud Barak beteiligte
– was die Partei in eine schwere Krise stürzte. Immerhin errang sie 2013 15
Mandate und Yizhak Herzog kann sich jetzt zu Recht
über das Wiedererstarken im Mitte-Links-Bündnis freuen, auch wenn er das Ziel
des Regierungswechsels nicht erreicht hat. |
Siehe auch: Israel Elections: Political Parties auf |
Nach internen
Richtungskämpfen in der Kadima in der Opposition,
bei der ihr Rivale für den Parteivorsitz, Mofas, siegte, trat Livni aus der Partei aus und gründete eine neue Partei, Hatnua („Die Bewegung“). 2013 erreichte sie knapp
6% der Stimmen und 6 Sitze im Parlament. Kadima
erreichte dagegen nur 2 Sitze und löste sich später auf. |
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Etwas salopp
formuliert, sind Parteienspaltungen oder –neugründungen der „running gag“ in der israelischen Politik, es vergeht keine
Legislaturperiode ohne dieses Phänomen. Zuletzt wurde die Partei Kulanu unter Mosche Kachlon
im November 2014 als Abspaltung vom Likud gegründet, auf Anhieb erreichte sie
jetzt 10 Sitze. Worin die Differenzen zum Likud oder zu Premierminister
Netanyahu liegen, ist nicht so einfach zu ermitteln, aber in Israel reicht
auch wenig um eine Spaltung herbeizuführen und, wie man sieht, mit Erfolg. |
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Im April 2012 gründete
der TV-Journalist Yair Lapid die Partei Yesh
Atid („Es gibt eine Zukunft“) als Reaktion auf
die massiven sozialen Proteste, die Israel erschütterten. Gegen den Strom der
ständig sich neu gründenden oder abspaltenden Parteien im national-religiösen
Bereich ist diese Partei säkular und wirtschaftspolitisch liberal orientiert.
2013 wurde die Partei mit 19 Mandaten zweitstärkste Partei und zog in die
neue Regierung Netanyahu mit ein. Obwohl sich sozial- und wirtschaftspolitisch
seither nichts von dem getan hätte, wofür die Partei angetreten war, errang
sie jetzt immerhin noch 11 Sitze. |
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HaBayit HaYehudi („Jüdisches Heim“)
wurde 2008 auch gegen den Strom aus einem Zusammenschluss kleinerer
nationalistischer und religiöser Parteien gegründet (Moledet
„Heimat“ und Tkuma „Wiedergeburt“), die jedoch kurz
danach schon wieder austraten, so dass die Partei letztlich nur die alte
Nationalreligiöse Partei Mafdal mit neuem Namen
ist. Zur Parlamentswahl 2013 einigte man sich mit den beiden anderen
gleichwohl wieder auf eine gemeinsame Liste. Einen neuen Schwung bekam diese
oft als „Siedlerpartei“ apostrophierte Gruppierung durch den 2012 vom Likud
übergetretenen Unternehmer Naftali
Bennett, der auch gleich Parteivorsitzender wurde. |
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Ungefähr die Hälfte der
jetzt in der Knesset vertretenen Parteien sind also Neugründungen aus den
letzten Jahren. Die beiden Lager haben trotz des relativen Wahlerfolges von
Netanyahu in dieser Wahl zusammen keine Mehrheit, selbst eine von
Staatspräsident Rivlin favorisierte „Große Koalition“ bräuchte also noch
einen zusätzlichen Koalitionspartner, dies macht das ganze Dilemma der
Parteienzersplitterung klar. |
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Einen weiteren großen
Erfolg erzielte die Vereinigte Arabische Liste, ungewolltes Resultat
einer Verschärfung des Parteiengesetzes, das die Hürde für den Einzug ins
Parlament auf 3,4% hochsetzte. Unter diesem Druck einigten sich die ebenfalls
traditionell zerstrittenen Parteien der arabischen Bevölkerung auf eine
gemeinsame Liste, die mit 13 Sitzen drittstärkste Kraft wurde, damit aber
dennoch das Wählerpotential der 20% arabischen Israelis (etwas weniger
Wähleranteil aufgrund der Alterstruktur) noch nicht
ausreichend ausschöpfen konnte und die Wahlbeteiligung unter der der
jüdischen Israelis blieb, da es in der arabischen Bevölkerung auch eine
eingefleischte Einstellung des „Es ändert sowieso nichts“ herrscht.
Vielleicht könnte sich aber gerade das jetzt ändern? Die Arabische Liste
hatte 2013 nur 4 Sitze errungen, die kommunistisch orientierte
antizionistische Chadasch ebenfalls 4, eine weitere
3. Die Vereinigte Liste konnte somit ihre Mandate insgesamt erhöhen, stellt
jetzt eine gemeinsame Fraktion und spricht jetzt mit einer Stimme für die
arabische Bevölkerung – oder sollte es zumindest. |
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Infos: Haaretz |
Bei der jetzigen
Sitzverteilung verfügen die ultranationalistischen und religiösen Parteien
über ein Drittel der Mandate (genau 37), mit der Likud ergibt das 67 von 120.
Außerminister Liebermann, der sich mit Netanyahu zerstritten hat, könnte
einer neuen Rechtskoalition also fernbleiben, wenn die vom Likud abgespaltene
Kulanu doch zumindest in eine Koalition zurückkehrt.
Netanyahu darf sich also auf jeden Fall als Sieger der Wahl sehen, nicht nur
weil seine Partei wieder am besten abgeschnitten und ihre Mandate ungefähr
gehalten hat (2013 waren es 31), sondern auch, weil er die aussichtsreichsten
Koalitionsoptionen hat, auch ohne eine Große Koalition bilden zu müssen. Die Linke bzw. das
Mitte-Links-Bündnis von Herzog und Livni ist
dagegen geschlagen worden. Selbst ein Bündnis mit Yesh
Atid und eine Unterstützung durch Meretz und die Arabische Liste – letzteres würde von der
Rechten in einer gigantischen Öffentlichkeitskampagne als „Verrat an Israel“
gebrandmarkt – brächte nur 53 Stimmen in der Knesset zusammen. |
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19.3.2015 |
Netanyahu brachte schließlich eine rechtslastige Koaltion zusammen, die, unter Ausschluss von Liebermanns Partei, über nur 61 von 120 Mandaten verfügt, mit einer Stimme Mehrheit also wieder eine schwache Regierung darstellt. Likud und die von ihr abgespaltene Kulanu sind in der Regierung wieder zusammengekommen, ferner gehören zwei religiöse Parteien der Koalition an (Schas und Vereinigtes Thora-Judentum) sowie die „Siedlerpartei“ Jüdisches Heim. |
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Politische Analyse: Die Paralyse der Konfrontation |
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Angesichts innenpolitische
Defizite und schlechter Umfragen setzte Benyamin Netanyahu auf die
Außenpolitik und die damit verbundenen Ängste und gewann damit. Die Warnung
vor dem iranischen Atomprogramm und dem gerade während des israelischen
Wahlkampfes geschlossenen (Vor-)Abkommen mit dem Iran sowie die Mobilisierung
der eigenen Wählerschaft gegen die Vereinigte Arabische Liste noch am Wahltag
gaben wohl den Ausschlag. Es zeigte sich hier
wieder exemplarisch, wie sehr die israelische Politik von der Außenpolitik
bzw. der Palästinenserthematik (zwischen Innen- und Außenpolitik) dominiert
wird. Wer Erfolg haben will, muss hier eine Perspektive zeigen. Das fällt der
Linken angesichts der verfahrenen Situation immer schwerer und war für den
Premierminister dagegen leicht, indem er auf das setzte, was in Deutschland
früher Konrad Adenauer schon einmal eine Wahl gewinnen ließ: „Keine
Experimente!“ Die Bewahrung des (scheinbar) Bewährten gab somit den
Ausschlag. Damit ist ein trügerisches Gefühl der Stabilität verbunden, bei dem
man sich fragt, ob es bei vielen, die Netanyahu doch noch einmal gewählt
haben, in Wirklichkeit nicht ein ungutes Gefühl ist, aus Scheu vor dem
Risiko, die israelische Politik wieder zu öffnen. |
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Die
Artikel der englischen Ausgabe von Haaretz sind nur
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Netanyahu ist ein Wahlkämpfer,
der ohne Skrupel heute das seine sagt und morgen das andere. Im Wahlkampf
rückte er von der Zwei-Staaten-Lösung ab und bediente damit das
nationalistische Lager, erntete dafür heftige Kritik aus den USA und verlor
im Westen noch mehr Unterstützung, nur um bereits am Tag nach der Wahl zu
erklären, dass das nicht so gemeint war. NBC erklärte Netanyahu: „Ich will
eine dauerhafte und friedfertige Zwei-Staaten-Lösung, aber die Umstände
müssen sich ändern, damit das geschehen kann.“ (Haaretz,
19.5.2015). Genauer meinte er damit, dass garantiert sein müsse, dass sich
ein befreites Westjordanland nicht zu einem zweiten Gaza entwickle, wo nach
dem Rückzug der Israelis radikale Palästinenser an die Macht kommen und
Raketen auf Israel schießen. |
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Damit hat Netanyahu das
entscheidende Problem angesprochen, dass sich auch echten Befürwortern einer
Zwei-Staaten-Lösung stellen würde und das zu lösen einer Quadratur des
Kreises gleichkommt. Insofern kann sich Netanyahu für einen
Palästinenserstaat aussprechen, weil die Chancen, dass es soweit kommt, dass
die Bedingungen dafür erfüllt sind, gegen Null tendieren. |
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27.5.2015 |
Was ist die Lehre aus
dem letzten Gaza-Krieg? Während Insider aus der Armee die israelische
Kriegführung anklagen, bewusst zivile Opfer in Kauf genommen zu haben (vgl.
dazu Die Zeit vom
6.5.2015), während in der Hamas der militärische Flügel auf einen neuen Krieg
drängt (Haaretz, 13.5.2015), kommt die regierungskritische
Zeitung Haaretz zu der bitteren Schlussfolgerung:
„Für Netanyahu ist Diplomatie gefährlicher als Krieg“ (Haaretz,
20.3.2015). |
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Der zweite Gazakrieg
2012… und die Folgen. Beobachterstatus für Palästina bei den Vereinten Nationen. |
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17.11.2012 |
Es erscheint wie eine
Wiederholung des des ersten Gazakrieges von vor vier Jahren. Auch damals standen israelische
Parlamentswahlen bevor, am 10. Februar 2009. Diesmal wird am 22. Januar 2013
gewählt. Offenbar hat die Hamas diesen Termin bewusst gewählt um mit ihren
Raketenangriffen auf Israel den neuen Konflikt auszulösen. Das will sie
damit erreichen? Zunächst einmal folgt
aus der Logik der Eskalation, dass in Israel die Hardliner gestärkt werden,
also die Rechts-Regierung unter Premier Netanjahu. Die Begriffe rechts
und links bestimmen sich in Israel übrigens nicht nach sozial- oder
gesellschaftspolitischen Vorstellungen, sondern einzig und allein nach der
Haltung zur Palästinenser- Frage: Zugeständnisse oder harte Linie. Auch die Hamas ist gegen
Verhandlungen und damit gegen die Fatah-Regierung im
Westjordanland unter Mahmud Abbas. Nachdem die Hamas
2007 im Gazastreifen die Macht erobert hatte, ging es damals vor allem um die
Schwächung der Fatah. Dies ist auch heute ein Ziel, denn, da eigentlich gar
keine Verhandlungen mehr stattfinden, weil die jetzige israelische Regierung
offenbar keine Notwendigkeit dafür sieht, stellt sich die Hamas als die
politische Kraft dar, die etwas tut: nämlich Israel zumindest in Angst und
Schrecken zu versetzen, wenn schon die Raketenangriffe im eigentlichen Sinne
militärisch sinnlos weil uneffektiv sind. Die Begeisterung in der
palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland dürfte sicher sein, so musste
musste sich auch Abbas sofort solidarisch mit der
Hamas erklären. Er ist zunächst mal der große Verlierer in diesem Spiel, in
dem die Hamas auch ganz bewusst die eigenen Verluste und zivilen Opfer im
Gazastreifen einkalkuliert. Der politische Gewinn rechtfertigt es für sie,
anders als im Westjordanland kann die Bevölkerung im Gazastreifen ihre
politische Meinung nicht demokratisch zum Ausdruck bringen. Doch dieses Mal geht es
auch um mehr. |
Die
dichte Bebauung und Besiedlung des Gaza-Streifens wird aus dieser Karte nicht
genug ersichtllch. Wikimedia Commons |
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Offensichtlich will die
Hamas Ägypten in einen Krieg mit Israel ziehen. Man darf nicht vergessen,
dass die Hamas eine Gründung der ägyptischen Muslimbruderschaft
ist, sie versteht sich als deren palästinensischer Arm. Die Muslimbruderschaft ist im Ägypten der zwanziger Jahre
entstanden und eine der beiden Quellen des islamischen Fundamentalismus, die
andere liegt in Saudi-Arabien. Die Muslimbruderschaft
hat in Ägypten jahrzehntelang mit terroristischen Mitteln eine politische
Führung bekämpft, die sie als „verwestlicht“ betrachtete, das Attentat auf
den Präsidenten Sadat, der mit Israel
Frieden geschlossen hatte, geht auf ihr Konto. |
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Siehe auch die Zusammenstellung „Radikale
Palästinensergruppen neben der Hamas“ auf |
Anders als die Fatah,
die seit den neunziger Jahren auf
Verhandlungen mit Israel gesetzt hat, verfolgt die Hamas seit ihrer Gründung
1987 weiterhin den Weg des Terrorismus. Und während die Fatah nur die
Selbstständigkeit eines palästinensischen Staates auf dem seit dem
Sechs-tagekrieg 1967 von Israel besetzten Gebiet erhalten will, d.h. im
Westjordanland und im Gazastreifen, erkennt die Hamas Israel als Staat nicht
an, auch nicht in den Grenzen von 1949. Ein weiterer Unterschied zwischen
beiden palästinensischen Parteien besteht in ganz unter-schiedlichen
gesellschaftspolitischen Konzeptionen: während die Fatah eine moderne, eher
westlich geprägte Vorstellung von der Gesellschaft hat und sich in ihren
Forderungen auf internationale Prinzipien der Demokratie beruft, sind die
Vorstellungen der Hamas im wesentlichen vom Gesetz des Islam bestimmt. Da sie
ihr Handeln jedoch politischen Zielen unterordnet, wird sie auch noch von
radikaleren Gruppen im Fanatismus überflügelt, zum Beispiel von der Gruppe „Islamischer
Dschihad“. |
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Seit die Muslimbrüder im Ägypten ihre Strategie auf eine
gemäßigtere Linie hin orientieren, und zwar schon vor dem Sturz Mubaraks, um
auf demokratischem Wege an die Macht zu kommen, was ihnen denn auch gelungen
ist, haben sie ebenfalls eine radikale Konkurrenz in den Salafisten
bekommen. Außenpolitisch war
Mubaraks Verständigung mit Israel in Ägypten wohl nie mehrheitsfähig gewesen,
die Abschottung Ägyptens gegenüber dem Gazastreifen, die Mubarak noch
aufrechterhalten hat, ist jetzt nicht mehr möglich. Auf einige terroristische
Angriffe auf israelisches Militär an der Sinai Grenze konnte Präsident Mursi noch
ablehnend reagieren, den Hilferuf der Palästinenser der Hamas im Gazastreifen
musste er positiv beantworten und hat dies auch gleich getan. Der ägyptische
Premierminister ist nicht zur Vermittlung nach Gaza gekommen, wie die Presse
hierzulande gehofft hat, sondern zur Solidaritätsbekundung. |
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Würde Israel mit
Bodentruppen in den Gazastreifen einmarschieren, so, das ist zu befürchten,
wäre Ägypten zu einer mehr als nur verbalen Unterstützung gezwungen. Sowohl
die Palästi-nenser als auch die eigene Wählerbasis Mursis und vermutlich auch die Mehrheit der Ägypter
würden eine militärische Hilfe erwarten, d.h. die Entsendung ägyptischer
Truppen von Süden her in den Gazastreifen. Damit stünde eine direkte
Konfrontation zwischen Israel und Ägypten bevor. Würde Mursi
nicht so reagieren, würde er sich sowohl im eigenen Lande als auch in der
arabischen Welt unglaubwürdig machen und als Schwächling gegenüber Israel
dastehen. |
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Die israelische
Regierung wird erst einmal alles darauf setzen die Raketenangriffe aus dem
Gazastreifen durch Schläge aus der Luft abzuwürgen. Ein Einmarsch zu Lande
wäre nicht nur wegen Ägypten ein hohes Risiko, sondern es war schon 2008/09 aufgrund
der örtlichen Bedingungen kein reiner Erfolg. Auf der anderen Seite kann sich
die israelische Regierung aber nicht leisten, noch wochenlang den
Alarmzustand von Jerusalem bis Tel Aviv aufrecht zu erhalten. Je weiter das
geht, desto mehr wird die Bevölkerung auch bereit sein, militärische Risiken
einzugehen und dies von ihrer Regierung einfordern – Israel ist im Wahlkampf! |
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Sollte es der Hamas
diesmal noch nicht gelingen Ägypten in einen Krieg mit Israel hineinzuziehen,
so war dies nur ein erster Anlauf, weitere werden folgen. Die Hamas hat jetzt
schon gewonnen, da sich Ägypten zumindest nach außen einseitig solidarisch
zeigt und auch hinter verschlossenen Türen die Hamas nicht zum Aufgeben ihrer
Strategie der Provokation zwingen kann. Auch wenn der jetzige Konflikt
begrenzt bleiben wird, so wird Ägypten seine Außenpolitik revidieren müssen
und dies kann nur heißen, den Palästinensern Hoffnung zu machen auf eine
Veränderung des Status quo. |
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Israel hatte bislang
aus der Schwächung des Palästinenser durch die Spaltung in Fatah und Hamas
profitiert, mit Hinweis auf die Hamas konnte es immer weitere Verhandlungen
ablehnen. Jetzt dreht sich das um: Eine weitere Eskalation mit dem Risiko
einer Konfrontation mit Ägypten und weiteren Staaten der Arabischen bzw.
Islamischen Welt – darunter auch v.a. dem Iran – kann Israel wohl nur
verhindern, wenn es den verhandlungsbereiten Palästinensern, sofern es die
noch gibt, Zugeständnisse macht, also der Fatah in der Westbank, um dadurch
die Hamas in der Palästinafrage zu isolieren. Ob sich diese Logik in Israel
durchsetzt, ist aber fraglich. In Krisenzeiten hat sich immer die harte Linie
durchgesetzt, genau darauf setzt ja die Strategie der Hamas. |
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Die israelische Politik
hinsichtlich des Gaza-Streifens ist auf tragische Weise zweimal gescheitert.
Mit dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen, d.h. der Aufgabe der Besatzung seit
1967, unter Premierminister Sharon (sog. Sharon-Plan) 2005, ist eine
weitere Friedenschance für den Nahen Osten vertan worden. Die Palästinenser
hätten im freien Gaza-Streifen einen Zwergstaat als Voraussetzung für die
weitere Befreiung der besetzten Gebiete mit internationaler Anerkennung und
Unterstützung aufbauen können und dadurch Israel diplomatisch unter Zugzwang
gesetzt. Stattdessen gewann mit der Machteroberung durch die Hamas nach einem
Bürgerkrieg mit der Fatah 2007 die Logik des Krieges. Die Blockade des
Gaza-Streifens nach dem ersten Gazakrieg
2008/09, die
weitere Waffenlieferungen dorthin verhindern sollte, war nicht effektiv
genug, wie man jetzt sieht, und vielleicht auch weil seit der ägyptischen
Revolution die Grenze zu Ägypten nicht mehr so hermetisch geschlossen ist wie
unter Mubarak. Mit weiterreichenden Raketen iranischer Herkunft haben die
bewaffneten Truppen im Gaza-Streifen, über die die Hamas nicht unbedingt die
absolute Kontrolle hat, auch das Niveau der selbst gebastelten Flugkörper
geringer Reichweite überwunden. Technik aus dem Iran, Geld aus den
Golfstaaten, eine offene Grenze zu Ägypten, damit ist die Strategie der
Isolierung des Gaza-Streifens gescheitert. Nicht wenige in Israel werden
heute bedauern, dass damals Gaza freigegeben wurde und das ausgerechnet von
dem Hardliner Sharon… |
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Dies macht auch
deutlich, dass ein militärischer Rückzug Israels aus dem Westjordanland
unvorstellbar ist, wer immer auch in Israel regieren sollte. Die Westbank
würde zu einem zweiten Gaza mit Raketen von überall her auf Israel. So könnte
selbst die bestmöglichste Option für die Palästinenser unter günstigsten
politischen Bedingen nie mehr als eine staatliche Autonomie unter
israelischer Aufsicht sein. |
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Ein ähnliches Problem
wie mit den Raketen aus Gaza droht Israel auch von Norden her aus dem
Libanon, von der Hisbollah, die seit dem letzten Libanonkrieg
2006
vielleicht vorübergehend militärisch geschwächt wurde, aber dafür politisch
an Einfluss gewonnen hat und in der Zwischenzeit mit Sicherheit wieder
aufgerüstet hat. Und dann steht da noch die Frage nach der Zukunft Syriens
nach dem Sturz des Assad-Regimes im Raum. Unter den Widerstandsgruppen
gewinnen die Islamisten immer mehr an Bedeutung, so scheint es. Nach dem
Umsturz wird mit Sicherheit ein Machtkampf um die politische Richtung in
Syrien ausbrechen, gewinnen die Islamisten, tut sich für Israel eine weitere
Front auf. Die Befürchtungen der
israelischen Regierung hinsichtlich des arabischen Frühlings, hierzulande
allseits kritisiert, waren in der Sache berechtigt. Israel hat sich ja immer
gerühmt, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, dabei setzte es ja
auf die Diktaturen ringsum für seinen Frieden. Eine dauerhafte
Friedenspolitik durch das Arrangement mit Diktatoren steht jedoch auf
tönernen Füßen, wie man sieht. |
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22.11.2012 |
Waffenruhe: Der politische Gewinner der für den 21.11.
vereinbarten Waffenruhe sei die Hamas, erklärte der Nahostexperte Michael
Lüders im ZDF Spezial, und der
große Verlierer, neben der israelischen Regierung, die palästinensische
Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas, da die Hamas mit der Beendigung der
Blockade des Gaza-Streifens ein Ziel mit ihren Mitteln durchsetzen konnte.
Wenn der Waffenstillstand bei einem Stillstand bleibe, so der
Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad am 21.11. im ARD Brennpunkt, sei nichts gelöst, denn der
Stillstand im Nahen Osten sei „immer eine tickende Zeitbombe.“ Spiegel Online
berichtet von den Reaktionen in Israel auf den Waffenstillstand: Während
Netanjahu ihn als Erfolg verkaufen will, sehen die Medien die Hamas und Mursi als die Sieger. Eine Presseschau gibt
es auf n-tv. |
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Siehe auch das Dossier
zum Thema Gaza-Streifen auf faz.net, die Sammlungen der Tagesschau und
von Heute, empfehlenswert die
Sondersendungen ZDF Spezial und ARD
Brennpunkt, sowie der Gastbeitrag des Politologen Daniel Levy
in der Frankfurter Rundschau,
„Leben durch das Schwert“, am 21.11. |
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“Der Krieg hat die
Hamas gestärkt“, bilanziert die Nahostkennerin Alexandra Senfft am 21.11. das Ergebnis des Konflikts in einem
Bericht die aktuelle Lage im Gaza-Streifen auf Journal 21. |
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24.11.2012 |
Die Hamas hat Israel zu
Verhandlungen gezwungen, und sei es erst mal nur für den Waffenstillstand,
während Israel die gewaltfreie Fatah politisch „verhungern lässt“, analysiert
Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Phillosophie
an der Universität Tel Aviv, in einem Interview in der taz am 24.11.2012 (S.10).. Dennoch will
Israel – damit meint er die Regierung und die übergroße Mehrheit in der
Bevölkerung – weiterhin die „Quadratur des Kreises: die Okkupation und ruhige
Grenzen.“ Seine pessimistische Vision für die Zukunft wird nur durch einen
Lichtblick erhellt, nämlich durch die Tatsache, „dass sich einige
amerikanische Juden von der israelischen Politik distanzieren, diese
vorsichtige Distanznahme sorgt in Israel für
Irritation.“ Den Deutschen bescheinigt er dagegen, dass sie Israel „nicht
begreifen“. Daraus hat die taz dann auch die Überschrift für das Interview
gemacht. |
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17./22.11./ 24.11.2012 |
Weitere Links zu Interviews mit Moshe Zuckermann: Interview über die Stagnation
der israelischen Politik, März 2003, in der taz Über den israelischen
Einmarsch im Libanon, August 2006, in Freitag und auf telepolis Über sein neues Buch Israel
– Deutschland – Israel, Oktober 2006, in analyse & kritik |
Verfasst
am 17.11., ergänzt am 22. und 24.11.2912 |
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Beobachterstatus
für Palästina bei den Vereinten Nationen |
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16.12.2012 |
Am 29.112012 beschloss
die UN-Vollversammlung mit 138 Stimmen gegen 9 Nein-Stimmen und 41 Enthaltungen (darunter
Deutschland) die Aufnahme Palästinas mit Beobachterstatus in die Vereinten
Nationen. Einen kleinen Auszug aus der Rede von Mahmud Abbas gibt es mit
Analysen auf ZEIT Online, den Text
auf Englisch präsentiert The Times Of Israel. Was der Beobachterstatus konkret
bedeutet, fasst die WELT zusammen. In der Rede von Abbas
kommt noch einmal die ganze Tragik der palästinensischen Politik zum
Ausdruck, die heute das fordert, was sie 1948 schon hätte haben können: einen
eigenen Staat. Mit den Verweisen auf den (1.) UN-Teilungsbeschluss für
Palästina 1947 (Resolution 181), damals von den Palästinensern und Arabischen Staaten abgelehnt, und (2.) die Staatsgründung
Israels 1948 sowie (3.) die daraus erfolgende Nakba
für die Palästinenser (gemeint ist hier die Vertreibung aus palästinensischer
Sicht), aber auch (4.) auf die politische Kehrtwende der PLO seit 1988,
vierzig Jahre danach, mit der Anerkennung Israels, bringt Abbas fast die
ganze Problematik auf einen Punkt, mit Ausnahme freilich eines wesentlichen
Faktors, der auch noch hier hineingehört: Auch nach dem Sechstagekrieg 1967
wären Verhandlungen im Sinne von „Land gegen Frieden“ möglich gewesen, wurden
aber von arabischer Seite abgelehnt. |
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Diese Abstimmung der
Vereinten Nationen hatte sich schon angekündigt, seit Mahmud Abbas am 23.
September in der UNO die Aufnahme Palästinas als Mitgliedsstaat beantragt
hatte (Wortlaut der Rede auf Englisch bei Haaretz). Nachdem dies erst einmal gecheitert war, beantragte er am 9.11. den
Beobachterstatus für Palästina (siehe ZEIT
Online), das Datum für die Abstimmung darüber blieb noch offen,
der neue Gazakrieg hat dies dann für Abbas
dringlich gemacht. Dieser Konflikt war daher vielleicht sogar ein glücklicher
Zufall für Abbas (oder war es kein Zufall…?), denn dadurch bekam die
friedliche Strategie der Fatah und der Autonomiebehörde unter Abbas auf
einmal einen enormen Prestigegewinn gegenüber der Strategie der gewaltsamen
Konfrontation der Hamas und anderer islamischen Gruppen – ein Erfolg, der in
den öffentlichen Reaktionen auf die UN-Abstimmung gegenüber dem
diplomatischen Sieg über Israel zu Unrecht im Schatten blieb. |
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Die Reaktion der
israelischen Regierung auf die UN-Abstimmung folgt der Logik des
Lagerwahlkampfes, in der sich die Likud-Partei von Premier Netanjahu
bedingungslos durch eine gemeinsame Wahlliste an die noch nationalistischere
Partei von Außenminister Liebermann (Jisra‘el Beitenu „Unser Haus Israel“) gebunden hat. Die Isolation
der israelischen Regierung in der Welt wird dadurch nur noch verstärkt und
dies zeigt sich am deutlichsten darin, welchen Spielraum der Kritik sich die
deutsche Regierung gegenüber Israel inzwischen geschaffen hat und ihn auch
wahrnimmt, sowohl der Außenminister als auch die Kanzlerin. Einen Kommentar
dazu sowie einen interessanten Blick auf die Stimmung in Israel selbst gibt
ein Interview mit dem Leiter des dortigen Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung,
Michael Mertes, für die Deutsche Welle. |
16.12.2012 |
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Stand:
06.09.14 |
Kommentar und Links zum
aktuellen Geschehen |
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Radikale Kräfte profitieren vom Krieg in Gaza. Kommentar
von Naser Schruf, verantwortlicher Redakteur für
den Nahen und Mittleren Osten, auf der Deutschen
Welle (10.7.14). Dabei zieht
der Autor eine Bilanz der letzten Gaza-Kriege 2009 und 2012. Sein Fazit: „Der
Westen muss sich einmischen.“ – Fragt sich nur:
wie? Der Einfluss des Westens auf die Region vom Nil bis zum Euphrat war noch
nie so gering wie heute. Dazu
der FAZ-Kommentar
von Peter Sturm: Hilfloser Obama (11.7.14). Die ZEIT druckt in ihrer aktuellen Printausgabe vom
10.7.14 einen Artikel von Barack Obama ab, der zuerst in Ha’aretz
veröffentlicht wurde: Der einzige Weg –
damit meint er die Zweistaatenlösung als einzige Garantie für den Frieden. In
dem Artikel geht er auch auf die enge Zusammenarbeit zwischen den USA und
Israel im militärtechnologischen und Geheimndienstbereich
ein. (Abstract auf ZEIT
ONLINE). Was er natürlich verschweigt,
ist, dass Israel diese Angebote gerne annimmt und gleichzeitig die politische
Einmischung Obamas ablehnt. Mehrfach hat Premierminister Netanyahu den
amerikanischen Präsidenten in bisher nie da gewesener Form brüskiert. Nirgends hassen sie Israel mehr als in Gaza bilanziert
der israelische Mediziner und freie Journalist Gil Yaron den „Teufelskreis
von Gaza“ auf ZEIT
ONLINE (10.7.14). Dabei zeichnet er die Geschichte Gazas seit dem
Unabhängigkeitskrieg nach. In einem weiteren Artikel auf ZEIT
ONLINE (18.7.14) – Sie können nicht anders? Doch! - beschreibt
er die Chance ein, die den Palästinensern durch die Räumung des
Gaza-Streifens 2005 gegeben und von ihnen vertan wurde, kritisiert aber auch
Israels Politik, die die Radikalisierung der Palästinenser befördert. In den vergangenen Gaza-Kriegen
wurden Tausende von sog. Qassam-Raketen auf Israel
abgefeuert, die zwar wenig „wirkungsvoll“ im Hinblick auf erzielte Schäden
und menschlicher Opfer waren, auch wegen der israelischen Raketenabwehr, aber
dafür die israelische Bevölkerung psychologisch terrorisieren – vielleicht
das eigentliche Ziel des Beschusses. Daraus folgen eine immer stärkere
politische Radikalisierung der Bevölkerung sowie entsprechende militärische
Reaktionen, die ihrerseits viele Opfer in Gaza fordern, auch unter der
Zivilbevölkerung. Ist diese Eskalation auch das Ziel der Hamas, des
Islamischen Jihad? Die Hamas befindet sich wohl in einer Lage, in der sie die
noch radikaleren Kräfte gar nicht mehr kontrollieren kann, so auch die kleine
Gruppe, die offenbar für die Ermordung der drei israelischen Jugendlichen
verantwortlich war. Warum Israel die Hamas nicht vernichten will, erklärt
Michael Borgstede in der WELT
(9.7.14): Was käme danach? Ein Chaos aus noch radikaleren Gruppen, eben
jenen, die jetzt die Eskalation vorantreiben. „Die Hamas ist isoliert und
praktisch pleite“, sie hat die politische Unterstützung der Muslimbrüder aus Ägypten verloren, seit Präsident Mursi gestürzt wurde, und die Golfstaaten wollen die
Hamas auch nicht mehr finanziell unterstützen, arabische Banken blockieren
den Transfer von Geld aus Qatar, dem einzig noch
verbliebenen Gönner. Borgstede sieht daher die
Raketenoffensive als Versuch der Hamas, einen Erfolg zu erzielen um im
Inneren ihre Macht zu erhalten. Auf der militärischen Ebene kommt
noch ein neuer beunruhigender Aspekt hinzu, nämlich dass bessere Raketen auch
die reale Bedrohung erhöhen. Am 9.7. wurden von Gaza aus drei Raketen auf das
Atomkraftwerk Dimona im Negev, nur rund 70 km von
der Grenze zum Gaza-Streifen entfernt, abgeschossen, berichtet die FAZ
(10.7.14) aus israelischen Quellen. Sollte es
gelingen die israelische Atomanlage ernsthaft zu bedrohen, wäre die Hölle
los. |
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Nach mehr
als vier Wochen Krieg…: Wie schnell grundsätzliche
Einschätzungen obsolet werden können, zeigt sich auch hier wieder. Wer der
oben genannten Kommentatoren hält seine Beurteilung noch aufrecht? Wenn das
Ziel Israels die „Entwaffnung der Hamas“ ist, wie es immer heißt, dann
gelingt dies nur durch eine Wiederbesetzung des Gaza-Streifens. So schreibt Christoph Sydow am 10.8.14 in SPIEGEL
ONLINE: „Hamas zwingt Israel in den Zermürbungskrieg. Der
Druck auf den Premier wächst, seine Koalitionspartner fordern eine dauerhafte
Invasion in Gaza.“ Doch davor zögert Netanjahu offenbar
zurück, obwohl es den Gegnern – ob Hamas oder anderen Gruppen - immer noch
gelingt Raketen aus Gaza nach Israel zu schicken. So zeichnet sich eher ein
propagandistischer Sieg der Hamas als ein militärischer Israels ab. Innere Widersprüche der Hamas zeigt die FAZ
am 10.8.14 auf, indem sie von der Hinrichtung eines prominenten Hamas-Führers
durch eigene Leute berichtet, offenbar aufgrund einer Anschuldigung wegen
Verrat und Kollaboration mit Ägypten. Er sei nicht der einzige. Im Krieg
um die Opfer gibt es auf Seiten der Palästinenser nicht nur die vielen
zivilen Opfer, die jeden Tag im Fernsehen gezeigt oder erwähnt werden
(mindestens 447 Kinder), laut unabhängigen Berichten, darunter auch Al-Jazeera, besteht der größte Anteil der Toten aus Männern
zwischen 20 und 30 Jahren, was schon darauf hindeutet, dass hier viele
Aktivisten oder Terroristen, je nach Sprachgebrauch, getroffen wurden. FAZ
Online Ein beeindruckenden Einblick in die Welt der Tunnel
von Gaza liefert National
Geographic in einem neu ins Netz gestellten Artikel von 2011
(!), wo die Reporter die Tunnelarbeiter begleitet haben (mit Fotos). Dienen die Waffenruhen dazu, der
Zivilbevölkerung zu helfen oder auch um neue Raketen in Stellung zu bringen?
Dienen sie dazu einen Weg für Verhandlungen zu finden? Wie sollten diese
aussehen und was sollte dabei herauskommen? Alles scheint unklar. Die Bilder
der zivilen Opfer und Zerstörungen, die nun auch in Israel ausgestrahlt
werden, scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen und die Front der 80-90%
Zustimmung für eine „harte Gangart“ aufzuweichen. „Die Rechte schreit alles nieder“ beschreibt es
ein israelischer Kritiker, der Filmemacher Etgar Keret, im Tagesspiegel
am 5.8.14. Es finden zwei Kriege statt, sagt er, einer, der ihn fast selbst
traf durch herabstürzende Teile einer über Tel Aviv abgeschossenen Rakete,
und der andere, den Israels Rechte gegen Leute wie ihn führe. Ein wichtiges
Interview. Wichtig auch die Unabhängigkeit der israelischen
Zeitung HAARETZ, die konträre Positionen zum aktuellen Konflikt
veröffentlicht. So kritisiert Amira Hass am 11.8.14 A European green light to
kill, destroy and pulverize Gaza, die Europäer hätten bereits 2006
einen Blankoscheck an Israel für die politische und dann auch militärische
Bekämpfung der Hamas gegeben, nachdem sie die Hamas nach ihrem demokratischen
Wahlsieg als Verhandlungspartner abgelehnt hätten. Deren Erfolg sei aber nur
die Konsequenz fruchtloser Scheinverhandlungen, fortgesetzter Besatzung der
palästinensischen Gebiete und der Blockade des Gaza-Streifens, meint die
Autorin. – Ganz anders dagegen Moshe Arens, ehemaliger
Likud-Politiker und Außenminister, der am selben Tag schreibt: Don’t leave unfinished business in Gaza.
Für ihn kann es keine Verhandlungen geben, solange von Gaza aus mit Raketen
auf Israel geschossen wird. Nachdem der Gaza-Streifen geräumt wurde (2005),
werden jetzt die angrenzenden Dörfer in Israel vor dem Raketenbeschuss
geräumt, zusätzlich mit den durch die Tunnel geplanten Anschlägen wolle die
Hamas so Stück für Stück Land „erobern“. Die Hamas sei an die Macht gekommen,
nachdem und weil Israel den Gaza-Streifen geräumt habe, jede Schwäche Israels
stärke die radikalen Palästinenser. So wie in Ägypten die Muslimbrüder
entmachtet worden seien, müsse auch die Hamas entmachtet werden, doch niemand
anderes als die israelische Armee sei dazu in der Lage. Allerdings endet er skeptisch darüber, ob dies geschehen wird: „You don’t have to be a member of the government to
sense the temptation facing government ministers to leave the job undone.” – Israel trapped itself into negotiating
with Hamas bilanziert Zvi Bar’el gleichfalls am 11.8.14, denn das Beharren der
israelischen Regierung, die palästinensische Einheitsregierung mit der Hamas
als „terroristische Einheit“ zu werten, hat Israel einmal mehr dazu geführt
letzten Endes doch mit der Hamas und dem Islamischen Jihad zu verhandeln,
wenn auch augenblicklich nur um die Feuerpausen. Der gemäßigte Flügel der
Palästinenser um Präsident Abbas ist einmal mehr geschwächt, die Hamas und
ihre Strategie dafür gestärkt. Es sei dies
das Resultat der Politik, die Israel seit 8 Jahren führe. In der Ablehnung
der Hamas hätten Ägypten und Israel gleiche Interessen, doch Israel sollte
auf die ägyptische Vermittlung bauen und die von Ägypten als vernünftig
eingestuften Forderungen nach eine Deblockierung
des Gaza-Streifens akzeptieren. Die Artikel auf Haaretz
sind nicht frei online zugänglich, sondern nur bei einem Abonnement. |
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Das
vorläufige Ende – und dann? „Der
Gaza-Streifen ist verwüstet, Israels Ansehen in der Welt lädiert, die Hamas
geschwächt - und trotz des Waffenstillstandes stehen die Chancen für einen
dauerhaften Frieden schlecht.“ So bilanziert SPIEGEL ONLINE das vorläufige Ende des kriegerischen Konflikts
durch den Waffenstillstand vom 27.8.2014: Lauter
Verlierer. Doch während die Palästinenser im Gazastreifen über die
Waffenruhe jubeln und sich als Sieger feiern (Feuerwerk
statt Raketenbeschuss), sieht sich Miniosterpräsident Netanjahu in seiner
Regierung den Kritikern von rechts um Außenminister Liebermann gegenüber, die
gegen den Waffenstillstand sind und bis zum Sieg weiterkämpfen wollten. Die
Entwaffnung der Hamas ist nicht erreicht, aber ihr Militärpotential ist
erheblich geschwächt. Reicht das? Wofür? Ein
Waffenstillstand mit bitterem Nachgeschmack kommentiert entsprechend die Deutsche Welle und bilanziert das
Ausmaß der Opfer und Schäden. Auf einer anderen Seite gibt es im Rückblick
eine Chronologie 50
Tage Gaza-Krieg und außerdem einen ebenso verdienstvollen Rückblick
auf dessen Vorgeschichte im Frühjahr: Eskalation
in Nahost. Den Inhalt der in Kairo getroffenen Vereinbarung kann man
ebenfalls bei der DW
zusammengefasst nachlesen (Neue
Waffenruhe im Gaza-Konflikt vereinbart). Die Forderungen der
Palästinenser und ihre internen Divergenzen präsentierte die DW am 19.8.: Was wollen
die Palästinenser? Am 23.8. meldete die DW, dass Hamas-Führer Chaled Maschaal in einem
Interview für Yahoo News eingeräumt habe, dass Hamas-Mitglieder an der
Entführung und Ermordung der drei israelischen Jugendlichen beteiligt waren,
die Hamas aber selbst davon nichts gewusst habe. Der Titel des Artikels: Hamas
war an Entführung dreier Jugendlicher beteiligt, gibt somit nicht genau
die Aussage Maschaals wieder. Der Waffenstillstand vom 25.8.2014 steht unter dem
Vorbehalt einer Lösung des Konflikts durch Verhandlungen, die vier Wochen
später beginnen sollen. Wiederaufbau in Gaza, Erweiterung der Fischereizone,
vage Versprechungen auf eine Erleichterung der Grenzübergänge – keine
substanzielle Veränderung gegenüber dem gescheiterten Waffenstillstandsabkommen vom 19.8.,
kommentiert Haaretz, und überhaupt: „Nach 51
Tagen Kampf scheint es, als ob wir ziemlich genau wieder zum Ausgangspunkt
zurückgekommen sind.“ Während Hamas dies als einen Sieg feiert, tue sich
Premier Netanjahu weitaus schwerer damit, dies ebenfalls für sich zu
proklamieren. Nun beginne aber in Israel der „Kampf um das
Verteidigungsbudget“, da der Krieg ein Loch von 5,6 Mrd
$ in den Haushalt gerissen habe – ein interessanter Aspekt in der
Gesamtbilanz (Amos Harel: Cease-fire in Gaza, now the defense
budget battle begins, 28,8,2014). Weitere Titel von Analysen und Kommentaren in Haaretz werfen Schlaglichter auf die politischen
Konsequenzen in Israel: Netanyahu saw his chance to run away from Gaza, and he took ist, 26.8. Netanyahu: Gaza op was a great military, political achievement, 27.8. Netanyahu gave up on defeating Hamas terror, 28.8. Rightist coalition partners slam Netanyahu over Gaza truce deal, 28.8. Gaza will not go away, 28.8. Netanyahu after the war: Less popular, but still unchallenged, 29.8. Was
wird kommen? Keine Zweistaatenlösung, meinte der kritische
israelische Psychoanalytiker und Publizist Carlo Strenger schon 2012
in der taz (hier). In gewisser Weise
trifft er sich hierin mit dem kritischen palästinensischen Philosophen und
Publizisten Sari Nusseibeh (z.B. 2009 bei hagalil). Carlo
Strenger wurde für die Tagesschau von Richard C. Schneider (ARD-Korrespondent) interviewt (4.8.2014),
ebenso wie der PLO-Politiker Mohamed
Shtayyeh (11.8.2014). > Übersicht Video-Blog
Zwischen
Mittelmeer und Jordan. |
Cf. Carlo Strenger: Israel.
Einführung in ein schwieriges Land. Berlin (Jüdischer Verlag), 2011. Cf. Sari Nusseibeh:
Ein Staat für Palästina? Plädoyer für
eine Zivilgesellschaft in Nahost. München (Kunstmann), 2012 |
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27.9.2014 |
UN-Rede von
Abbas Die Rede von Palästinenserpräsident Mahmoud
Abbas auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 26.9.2014
zeigte der internationalen Presse zufolge eine scharfe antiisraelische
Rhetorik, indem er den jüngsten Gazakrieg als „war of genocide“ bezeichnete (cf. BBC, The Guardian, ABC), was sich
allerdings seltsamerweise in dem von der Palestine News & Info Agency
publizierten Wortlaut der Rede (hier) nicht
wiederfindet. Jedenfalls stellt er auch nach diesem Text klar, dass es keine
weiteren Verhandlungen mit der israelischen Regierung geben werde: It is no longer possible to
redress the issue of the blockage of the horizon of the peace talks with the
same means and methods that have been repeatedly tried and proven
unsuccessful over the past years. Die hauptsächlichen Argumente dafür sind die seit
jeher vorgebrachten Anklagen des fortgesetzten Siedlungsbaus im besetzten
Westjordanland und die Forderung der Palästinenser nach einem Staat in den
Grenzen der 1967 besetzten Gebiete unter Einschluss Ost-Jerusalems als
Hauptstadt. Abbas erhofft sich einen stärkeren internationalen Druck auf die
israelische Regierung, die radikale Rhetorik, von der die Presse berichtet,
ist wohl ein notwendiges Zugeständnis an die Hamas und die radikalisierte
Stimmung in der palästinensischen Bevölkerung. Haaretz sieht hierin
allerdings keinen taktischen Zug um sich populärer zu machen, sondern
interpretiert ist als Resultat dessen, dass Abbas die jahrelangen
ergebnislosen Verhandlungen mit Israel ernsthaft satt habe. Daraus erwachse
dem Westen eine neue Chance Druck auf Israel auszuüben, meint Amira Hass
(Abbas‘ UN speech gives
West another chance to pressure Israel, 27.9.2014).
Abbas’ Rede, die nach dem Jahreswechsel des jüdischen Kalenders erfolgte, ist
ein Neujahrsgeschenk für die israelische Rechte, kommentiert dagegen Chemi Shalev (Abbas‘ harsh speech at the UN is
a new year’s gift fort he Israeli right,
27.9.2014). |
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© Wolfgang Geiger, 29.10.2015 |
Zum historischen Hintergrund von Netanyahus
Äußerung über den Mufti von Jerusalem, Hitler und den Holocaust |
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Der
Text als > pdf-Download |
„Was soll ich denn mit ihnen tun?“
fragte Hitler den Mufti, der ihn darum gebeten hatte, die Ausreise der Juden aus
Europa zu beenden, weil sie alle nach Palästina kämen. „Verbrennt sie!“
antwortete der Mufti. So die Vision des israelischen
Premierministers Netanyahu über die Entstehung der Idee, alle Juden zu
vernichten, wie er sie am 20.10.2015 in seiner Rede vor dem Zionistischen
Weltkongress in New York darlegte. |
Der Führer empfing in Gegenwart des
Reichsministers des Auswärtigen von Ribbentrop den Grossmufti
von Palästina, Sayid Amin al Husseini, zu einer
herzlichen und für die Zukunft der arabischen Länder bedeutungsvollen
Unterredung.“ Presseerklärung
durch den Fotografen Heinrich Hoffmann zu seinem Bild, 9.12.1941. Unterredung zwischen Hitler und dem Mufti von Jerusalem, Haj Amin al-Husseini, am 29.11.1941. Der Mufti war gerade
in Berlin im Exil angekommen, nachdem er zuvor an einem prodeutschen Putsch
im Irak beteiligt gewesen war, der von den Briten niedergeschlagen wurde. Foto: Bundesarchiv, Wikimedia Commons |
Netanyahus
Rede, Ausschnitt Video: Haaretz Die ganze Rede: youtube Text
der Rede: pmo.gov.il Kommentare:
tagesschau.de
; heute.de ; zeit.de |
Die einhellige Verurteilung dieser
Holocaust-Erklärung in den Medien der Welt und durch die Regierungen der
befreundeten Staaten – von der arabischen Welt ganz zu schweigen – ließ nicht
lange auf sich warten, zumal Netanyahu unterwegs von den USA nach Europa zu
politischen Konsultationen war. Die
offiziell-diplomatischen Reaktionen verwiesen nur auf die historische
Wahrheit, wonach natürlich die Nazis selbst den Plan zur Judenvernichtung
entwickelten, die, wie Fachleute dann auch noch präzisierten, seit dem Sommer
hinter der Front der vorrückenden Wehrmacht im Osten am Laufen war, also lange
vor dem Zeitpunkt des Treffens zwischen dem Mufti und Hitler am 28. November
1941 in Berlin, wo der Mufti sein Exil
angetreten hatte. Verurteilt wurde dann in den Medien vor allem die
politische Absicht dieser Geschichtsverfälschung, nämlich ihre propagandistische
Zielsetzung, der palästinensischen Führung eine Mitschuld am Holocaust zu
geben. |
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Die
politische Absicht, eine Verbindung zwischen damals und heute zu ziehen, hat
Netanyahu selbst in seiner Rede verdeutlicht. Er
ging von der falschen Behauptung aus, von Palästinenserchef Abbas zu
propagandistischen Zwecken lanciert, Israel wolle den Tempelberg für die
Juden vereinnahmen oder auch nur den Zugang zu den heiligen Stätten des Islam
auf dem Tempelberg sperren. Solche Gerüchte lancierte in den 1920er Jahren
schon der Mufti von Jerusalem, Haj Amin
al-Husseini, gegenüber den Juden in Palästina, um die Araber gegen den
Zionismus zu mobilisieren und gewalttätige Konfrontationen auszulösen, die ja
auch darauf folgten, am Anfang und am Ende der Zwanziger
Jahre. „Diese Lügen sind 100 Jahre alt“, sagte Netanyahu, und dies stimmt
auch soweit, auch wenn die Rolle des Mufti dabei vielleicht überschätzt wird,
er lancierte nicht unbedingt „generalstabsmäßig“ all diese Gerüchte, sondern
förderte vielmehr nachweislich die Konfrontation, wenn es denn hier und da zu
einer Auseinandersetzung zwischen Juden und Arabern
kam. |
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[1] Chemi Shalev: „There’s a Method
to Netanyahu’s Hitler-Mufti-Madness“, Haaretz, 23.10.2015. [2] Letter dated
17 June 1985 from the Permanent Representative of Israel to the United
Nations addressed to the Secretary-General, General Assembly, Forty-first
session, UNISPAL [3] Security
Council, Provisional Verbatim Record of the Two Thousand Eight Hundred and
Sixty-finfth Meeting, New York, 8.6.1989, UNISPAL [4] Security
Council, Provisional Verbatim Record of the Two Thousand Eight Hundred and
Sixty-finfth Meeting, New York, 8.6.1989, UNISPAL [5] Shalev, loc. cit. [6] Cf. Raphael Ahren: „In Netanyahu’s mufti-Holocaust allegation, echoes
of his father’s maverick approach to history”, The Times of Israel , 24.10.2015 [7] Z.B. David
Patterson: A Genealogy of Evil:
Anti-Semitism from Nazism to Islamic Jihad, Cambridge University Press,
2011, S. 116. |
Die zweite Linie zog Netanyahu dann
über die Person des Mufti zur heutigen Palästinenserführung um Abbas. Tatsächlich
genießt der Mufti von Jerusalem, der sich gerne Groß-Mufti nennen ließ und
für die ganze arabische, wenn nicht die ganze muslimisch-Welt sprechen
wollte, bei vielen Palästinensern auch heute noch großes Ansehen als ein
mutiger Kämpfer gegen die britische Kolonialmacht und den Zionismus. Vor
diesem Hintergrund wollte Netanyahu die Verbindung des Mufti mit Hitler in
Erinnerung rufen und dabei auch die Geschichte politisch in seinem Sinne
zurechtrücken, indem er den Mufti als den Ideengeber Hitlers für den
Holocaust anklagte. Wurde Netanyahu bei seinem
verkrampften Versuch, eine Kontinuität zwischen damals und heute zu schlagen,
nur „von seiner eigenen Rhetorik mitgerissen“ zu einem „Wahn“? [1] Fast alle
Kommentaroren in den Medien sehen in Netanyahus Äußerungen eine persönliche
Obsession, die Geschichte, und wenn nötig durch eine Verfälschung, für die
politische Auseinandersetzung mit Abbas zu instrumentalisieren. In der Sache
selbst wird der Mufti eher als willkommener Handlanger Hitlers, als islamischer
Kollaborateur charakterisiert, das Gegenteil eines Inspirators, und Netanyahu
wird deswegen von nicht wenigen, darunter auch israelischen Historikern und
Journalisten, Revisionismus und Relativierung des Holocaust vorgeworfen, weil
er diese Beziehung zwischen Hitler und dem Mufti auf den Kopf stellt. |
|
So einfach ist es jedoch nicht, wenn
man der Angelegenheit jenseits einer reflexhaften Gegenpolemik nachgehen
will, sowohl was den Mufti betrifft, als auch Netanyahus These, die alles
andere als von ihm ad hoc erfunden wurde. Schon seit längerem verweist
Netanyahu bei sich bietenden Gelegenheiten auf das politische Erbe des Mufti:
Als israelischer Gesandter bei den
Vereinten Nationen griff er die Äußerung von PLO-Chef Yassir
Arafat auf, der sich auf der Bandung-Konferenz am 25.4.1985 mit Stolz auf die
beiden historischen Führer Haj Amin al-Husseini und
Ahmed Shukeiry (Begründer der PLO) berufen hatte,
und Netanyahu wies darauf hin, dass der Mufti an der Judenvernichtung
beteiligt gewesen war und Shukeiry, ein „eifriger
Anhänger von Husseini“, noch in den 1960er Jahren das Werk der Nazis
vollenden wollte und zur Vernichtung der Juden Israels aufrief. [2] Fünf
Jahre zuvor schon hatte Netanyahus Vorgänger bei den Vereinten Nationen,
Yehuda Blum, Arafat und den Terrorismus der Fatah in die Kontinuität der vom
Mufti angezettelten Massaker an den Juden im britischen Palästina und dessen
Kollaboration mit den Nazis gestellt [3], und der Nachfolger Netanyahus, Yohanan Bein, tat dies ebenfalls 1989 und präzisierte,
dass der Mufti von Europa aus zur Vernichtung der Juden in Palästina
aufgerufen hatte. [4] |
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|
Soweit ein paar offizielle
Äußerungen, die Husseinis Kollaboration am Holocaust betonen und eine Linie
der Kontinuität einerseits zur Ideologie, andererseits zum (damaligen)
Terrorismus der PLO ziehen. In Netanyahus 1995 im Wahlkampf veröffentlichten
Buch A Place among the Nations rücken der Mufti und Hitler bereits auf eine
Ebene, darin lässt er Hitler zum Mufti sagen: „Wir beide haben dasselbe Ziel:
die Juden in Palästina zu vernichten“ [5], ein Zitat aus der Unterredung
zwischen Hitler und dem Mufti am 28.11.1941 (mehr dazu weiter unten). Der
kürzlich von Netanyahu zum Botschafter bei den Vereinten Nationen ernannte
Likud-Politiker Danny Danon schrieb 2012 in seinem
Buch Israel, the will to Prevail, dass „einige Historiker“ Zweifel an der
(Mit-)Urheberschaft des Muftis an der Vernichtungsidee hätten, suggeriert
aber mit dieser Relativierung („einige“), dass die Mehrheit anderer Meinung
sei oder dass dies zumindest eine seriöse Position innerhalb einer
Kontroverse sei. [6] Netanyahu hat dies in seiner Rede zu einer
vermeintlichen Gewissheit zugespitzt und folgte darin einigen Historikern,
die dies in deer Perspektive einer inneren
Verbindung Holocaust-Jihad so interpretieren, und damit zwar eine minoritäre, aber deswegen nicht periphere Position in der
Gelehrtenwelt vertreten.[7] Bei genauerem Hinsehen stellt man jedoch fest,
dass sich es hier weniger um Expertisen im Detail handelt, als um die unselige
Tradition, dass der eine nur vom anderen zitiert, ohne es selbst zu
überprüfen. |
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|
[8] Zit. nach Barak Ravid: „Netanyahu
Responds to Critics: Absurd to Ignore Mufti’s Role in Holocaust”, Haaretz, [9] [21.10.2015. [9]
Cf. Klaus- Michael Mallmann / Martin Cüppers: Halbmond
und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt
(WBG), 22007, S. 117. Die schriftliche Aussage von Steiner
befindet sich heute im Yad Vashem
Archiv. [10] Z.B. in:
David Patterson: Genocide in Jewish
Thought, Cambride Univ. Press, 2012, S. 208; vgl. Joseph B. Schechtman: The Mufti and the Fuehrer – The Rise and the Fall of Haj Amin el-Husseini,
New York (Yoseloff), 1965, S. 160. [11] Cf. „the
Mufti was also one of the initiators of the systematic extermination of
European jewry by the Germans […]”, in: Pearlman, siehe nachfolgende Fußnote. [12] Cf. Maurice
Pearlman: The Mufti of Jerusalem. The
Story of Haj Amin El Husseini, London (Gollancz),
1947, S. 72. [13] Cf. Protokoll des Eichmann-Prozesses,
The Nizkor Project – The Trial of Adolf
Eichmann, Session 50, Part 8 and 7 [14] Cf. Mallmann/Cüppers, S. 116. Die Verhandlungen fanden Ende 1942
statt. [15] Zit. nach loc. cit., S. 117, mit Bezug zum Yad
Vashem Archiv, TR 3/281. [16] Cf. in Henry Laurens: Le retour des exilés. La lutte pour la
Palestine de 1869 à 1997, Paris (R. Laffont), 1998, S. 554-559. [17] Abgedruckt in: Hans Adolf Jakobsen:
Der Weg zur Teilung der Welt,
Koblenz/Bonn (Wehr und Wissen), 1973, S. 129ff., vgl. NS-Archiv |
Die These vom Holocaust-Inspirator
Amin al-Husseini entstand unmittelbar nach dem Krieg und Netanyahu hat einen
Bogen dorthin zurück geschlagen. In Reaktion auf die vehementen Kritiken
erklärte er vor seiner Berlin-Reise, dass er damit Hitlers Verantwortung für
die Ausführung der Judenvernichtung keinesfalls minimiert habe, was aber
seine Rolle bei der Planung angehe, so beziehe er sich auf Eichmanns Gehilfen
Dieter Wisliceny, der erklärt habe, „dass der Mufti
eine bedeutende Rolle bei der Endlösung gespielt hat und einer der
Initiatoren der systematischen Vernichtung der europäischen Juden war.“[8]
(Rückübersetzt aus dem Englischen). |
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Es handelt sich hier um die
wörtliche Übernahme einer Aussage, die Endre Steiner 1946 in Bratislava aus
der Erinnerung als Äußerung Wislicenys über die
Rolle des Mufti zitierte.[9] In der englischsprachigen Literatur wird dieser
Satz stets aus dem Buch The Mufti and the Fuehrer
von Joseph B. Schechtman (1965) übernommen [10], Schechtman zitierte jedoch seinerseits aus der
erstmaligen Veröffentlichung, auf die alles zurückgeht: Das Buch The Mufti of
Jerusalem von Maurice Pearlman (1947).[11] Pearlman
zufolge, der in Israel als Moshe Pearlman zum
ersten Pressesprecher der Armee wurde und später zahlreiche Bücher über die
jüdische Geschichte schrieb, soll diese schriftliche Aussage Steiners noch
1946 Wisliceny in Nürnberg vorgelegt worden sein
und dieser habe deren Richtigkeit durch einen Zusatz und eine Unterschrift
bestätigt.[12] Im Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 lag das Dokument in
leicht veränderter englischer Übersetzung vor.[13] Ein Zeuge, ebenfalls mit
Namen Steiner, erklärte, Endre (oder Andrej) Steiner habe dies von Wisliceny 1942 oder 1943 gehört, als er von jüdischer
Seite aus mit Wisliceny (im Auftrag Eichmanns) in
Bratislava Verhandlungen über die Freilassung jüdischer Kinder für die
Ausreise nach Palästina im Austausch gegen deutsche Zivilinternierte in
Palästina [14] verhandelt habe. Als der Mufti in seinem Berliner Büro davon
Wind bekam, intervenierte er sofort bei Himmler, der daraufhin die Aktion
verbot. |
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Der letzte Satz aus dem Dokument
Steiner-Wisliceny lautet im deutschen Original
jedoch anders als in den englischen Übersetzungen: Der Mufti sei „ein
unerbittlicher Erzfeind der Juden und sei auch seit jeher der Vorkämpfer des
Gedankens der Ausrottung der Juden.“[15] Dieser Begriff Vorkämpfer ist ganz offensichtlich schlecht verstanden und falsch
ins Englische übersetzt worden, denn initiator oder originator (Urheber) meint etwas anderes, quasi das
Copyright für die Idee und den Einfluss auf andere (Hitler), während
„Vorkämpfer“ nur den besonderen Eifer der Person hervorhebt, er stand quasi
„in vorderster Front“, eine Urheberschaft wird damit nicht ausgedrückt. Was
Steiner oder Wisliceny, wenn er sich denn so
geäußert hat, mit dem Begriff „Vorkämpfer“ wirklich meinten, wird nicht mehr
zu klären sein, somit müssen wir uns an den Wortlaut halten. Dass der Mufti
schon während des sogenannten Arabischen Aufstandes in Palästina 1936-39 den
Juden den Tod gewünscht hat und insofern ein „Vorkämpfer“ dieser Idee war,
ist durchaus zutreffend. Aber daraus folgt noch nicht, dass er Hitler dazu
inspiriert hat. Diese durch die Übersetzung verzerrte Aussage in dem Dokument
hat die Kontrahenten in dieser Debatte beiderseits seit fast sieben
Jahrzehnten in die Irre geführt: die einen, von Pearlman
bis Netanyahu, die den Mufti als Holocaust-Inspirator sehen, wie die
zahlreichen Historiker, die dem widersprochen haben und jetzt auch Netanyahu
entgegnen, dass der Holocaust im Rücken der Ostfront durch die Einsatzgruppen
bereits im Sommer 1941 begonnen habe und somit nicht erst in der Begegnung
zwischen dem Mufti und Hitler in Berlin am 28.11.1941 entstanden sein kann. |
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Von
dieser Begegnung gibt es zwei Berichte, ein Protokoll des Dolmetschers
Schmidt sowie einen Bericht, den der Mufti selbst anfertigte (auf
Französisch). Beide stimmen für den größten Teil der Unterredung überein,
differieren aber am Ende hinsichtlich der Konsequenzen. Der Mufti berichtet
vor allem von Hitlers Erklärungen zur Bekämpfung des Judentums und zur
Vernichtung der „jüdischen Heimstätte“ in Palästina, wenn die militärische
Lage die Achse dazu in die Lage versetzen würde. Gemeint war zu diesem
Zeitpunkt ein Durchbruch von Norden her über den Kaukasus. An keiner Stelle
erweckt der Mufti den Eindruck, dass er selbst Hitler diesbezüglich etwas
vorgeschlagen habe. Was der Mufti wollte, war ein strategisches Bündnis,
wonach den Arabern die Freiheit versprochen würde, wenn sie sich in einem
Aufstand gegen die Briten am Krieg beteiligten, dies solle in einer
öffentlichen Erklärung Hitlers die Araber zum Aufstand motivieren. Doch genau
dies konnte und wollte Hitler ihm aus verschiedenen Gründen nicht geben,
unter anderem, da in seinen strategischen Plänen eine Selbstbestimmung der
Araber keinen Platz hatte, ihm ging es vor allem um den Zugang zu den
irakischen Ölquellen. So versprach er dem Mufti nur die gewünschte Erklärung
für den Moment des militärischen Sieges. Entsprechend enttäuscht bilanzierte
der Mufti die Unterredung.[16] In seiner Darstellung findet sich
auch nicht die in der Literatur immer wieder zitierte abschließende
Bekräftigung Hitlers, „das deutsche Ziel würde dann lediglich die Vernichtung
des im arabischen Raum unter der Protektion der britischen Macht lebenden
Judentums sein“, sie wird so von Schmidt zitiert.[17] Für den Mufti, dies ist
ganz klar aus seinem Bericht herauszulesen, war bei diesem Treffen mit Hitler
die Judenvernichtung nicht einmal das wichtigste Thema, sondern dem
antikolonialen Freiheitskampf gegen die Briten untergeordnet. |
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[18] Das Original wurde von Wolfgang Schwanitz als Faksimilé mit Kommentar veröffentlicht, cf. Wolfgang
Schwanitz: „Amin al-Husaini und das Dritte Reich.
Neues vom und zum Jerusalemer Großmufti“, ursprünglich in: Kritiknetz –
Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft, 7.4.2008 (), gesondert ins Netz gestellt bei trafoberlin, S. 7. |
Im ausführlichen Verhör von Wisliceny in Nürnberg – dort als Zeuge geladen, er war ja
noch kein Angeklagter – ist vom Mufti überhaupt nicht die Rede. Doch liegt
von Wisliceny selbst auch eine eigenhändige
schriftliche Erklärung zur Rolle des Mufti vor, die sich inhaltlich zum Teil
mit der Aussage Steiners deckt, was die Verhandlungen in Bratislava und die
Intervention des Muftis dagegen angeht, aber absolut nichts enthält, was dem
Mufti eine Initiatorenrolle bei der
Judenvernichtung zuweisen würde, noch nicht einmal der Begriff „Vorkämpfer“
taucht auf. Vielmehr schreibt Wisliceny, dass der
Mufti nach Gesprächen mit Himmler und Eichmann begeistert davon war, eifrig
dazu beigetragen hat und in diesem Sinne auch auf Himmler „einen Einfluss
ausübte.“[18] Dieser Einfluss bestand tatsächlich in Form von mehreren
Interventionen gegen Ausnahmen von der „Endlösung“, wie bei den Verhandlungen
in Bratislava, so auch 1943/44 hinsichtlich der Ausreise von Juden aus
Bulgarien, Ungarn und Rumänien. |
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So kann man sich berechtigt fragen,
ob Endre Steiner nach der Vereitelung der Rettung der jüdischen Kinder, die
bereits nach Theresienstadt gebracht worden waren,
durch den Mufti nicht aufgrund eines verständlichen Hasses auf ihn die
Wiedergabe von Wislicenys Äußerung aus dem
Gedächtnis nicht einfach im genannten Sinne zugespitzt hat um den Mufti
besonders zu belasten. Dieser konnte 1946 auf bisher nicht ganz geklärte
Weise aus Frankreich, wo er interniert war, nach Ägypten fliehen, wurde dort
als Held empfangen und hat von dort aus weiter maßgeblich die Palästina
betreffende Politik beeinflusst, ohne von den Alliierten behelligt zu werden.
Dies war auch der Antrieb für Maurice Pearlmans
Buch, das zwei Jahre nach Kriegsende bereits Worte und Taten des Mufti bilanzierte. |
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[19] Zit. aus Pearlman, S. 73, vgl. Edgar
Ansel Mowrer: „Call the
Mufti!” in: New York Post, Forum, March 1946, S.
611f. [20] Cf. Ladislaus Löb: Geschäfte mit dem Teufel – Die Tragödie des Judenretters Reszö Kasztner. Bericht eines
Überlebenden, Köln u.a.o. (Böhlau), 2010, S.
223f. [21] Cf. David G.
Dalin / John F. Rothman: Icon of Evil – Hitler’s Mufti and the Rise of Radical Islam, New
York (Random House), 2008, S. 68, mit Verweis auf Schechtman, S.
159f. [22] Cf. Barry
Rubin / Wolfgang Schwanitz: Nazis, Islamists, and the Making of The Modern Middle East, New
Haven / London (Yale Univ. Press), 2014, S. 161f. [23] Rubin / Schwanitz, S. 160. |
1946 schon hatte Edgar Mowrer, den Pearlman auch
zitiert, mehrfach in der New York Post über den Mufti geschrieben und dazu
aufgerufen, ihn als Kriegsverbrecher vors Nürnberger Tribunal zu stellen. Er
berief sich dabei auf die Aussage von Rudolf Kasztner
1944 in Budapest, der ebenfalls von Wisliceny
berichtete, dass dieser dem Mufti „eine Rolle bei der Entscheidung der
deutschen Regierung, die Juden zu vernichten“ zuschrieb.[19] Kasztner hatte in der Tat versucht, über den Jüdischen
Weltkongress die Taten des Mufti publik zu machen.[20] Auch dies hat sich bis
in jüngere Publikationen gehalten, so zitieren z.B. Dalin
und Rothmann das Affidavit von Kastner aus dem Buch von Schechtman,
der dies wiederum aus Pearlman bezieht.[21] Auch
hier müsste also überprüft werden, was Wisliceny
gemeint und wie es Kasztner verstanden hat, aber es
ist dieselbe Konstellation wie bei Steiner: Kasztner
bekam über Wisliceny den Einfluss des Mufti auf
Himmler mit, „Entscheidungen“ über die Judenvernichtung betrafen ganz
offensichtlich die vom Mufti torpedierten Verhandlungen über die Auslösung
von Gefangenen, nicht die grundsätzliche Entscheidung für die „Endlösung“
überhaupt, von der Wisliceny selbst auch gar nichts
mitbekam. In jedem Fall reichen diese
dürftigen und fraglichen Nachweise nicht als Beleg für die These vom
„Initiator“ Amin al-Husseini. |
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Rubin und Schwanitz unternehmen
dagegen einen anderen Versuch, die Rolle des Mufti bei der zentralen
Entscheidung für die organisierte Judenvernichtung nachzuweisen, indem sie auf
objektive Tatbestände in der Chronologie der Ereignisse verweisen.[22] So
sehen sie den Stopp für die Auswanderungsmöglichkeit von Juden im Oktober
1941 als Reaktion auf die entsprechenden Forderungen des Mufti, die dieser
seit Februar in Briefen an Hitler geäußert hatte. Tatsächlich hatte der Mufti
allerdings schon seit 1933 gegen die Auswanderung von Juden nach Palästina
protestiert. Unmittelbar nach dem Treffen mit dem Mufti am 28.11. beauftragte
Hitler, offenbar in Hochstimmung hinsichtlich der militärischen Erfolge ist
Osten, Heydrich mit der Vorbereitung der
Wannsee-Konferenz. Bekundungen Hitlers gegenüber dem Mufti, die „Endlösung“
werde jetzt angepackt und der Durchbruch in den Nahen Osten sei nur eine
Frage der Zeit, folgten auf die Konferenz. Schlussfolgerung: „Indem er die
Fluchtroute für die Juden schloss und von jeder anderen Strategie
abschreckte, half al-Husaini, die ‚Endlösung‘
unvermeidlich zu machen. Die Juden in Konzentrationslager zu sperren und
umzubringen brachte vor 1941 keinen Vorteil für die Deutschen. Das änderte
sich, als die Allianz mit Arabern und Muslimen wichtig wurde.“ Hitlers
„persönliche Obsession“ konnte sich daher „von einem Handicap für die
deutsche Außenpolitik in eine nützliche geopolitische Strategie
verwandeln.“[23] |
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Außer der zeitlichen Koinzidenz
einiger Ereignisse haben die Autoren keinerlei Beweis für ihre schwerwiegende
These. Ihr fehlt selbst spekulativ jede Substanz: Warum „schloss“ der Mufti
die Fluchtwege? Die meisten Juden flüchteten gar nicht nach Palästina,
sondern wollten nach Amerika. Großbritannien hatte die legale Einwanderung
ohnehin seit 1939 auf ein Minimum beschränkt, schon vor dem offiziellen Aus
war die Einwanderung nach Palästina zu einem enormen Problem geworden. Und
dann wird die innere Dynamik der antisemitischen Politik in Deutschland seit
dem Novemberpogrom 1938 sowie seit der Besetzung Polens und dem Beginn des
Krieges gegen die Sowjetunion außer Acht gelassen. Man stelle sich nur vor,
Hitler habe sich von al-Husseinis Briefen in der ersten Jahreshälfte 1941 zum
Holocaust überreden lassen, als sich der Mufti im Nahen Osten im Exil befand,
im April an einem aussichtslosen Putsch im Irak gegen die Briten beteiligt
war, den die Deutschen unterstützen wollten aber nicht ausreichend unterstützen
konnten, und dann den Nahen Osten für ein weiteres Exil in Berlin verlassen
musste. Er kam in Berlin als Johann Ohneland an und
gab sich als der Führer der arabischen Welt aus. Hitler wusste sehr wohl,
warum er ihm keine Versprechungen machte. Der Startschuss für die
Wannseekonferenz kann auch aus anderen Gründen am Tag nach dem Treffen mit
dem Mufti erfolgt sein, der „wilde“ Holocaust vor Ort, durch
Massenerschießungen, war bereits im Gange und auch die Experimente mit den
Gaswagen liefen schon seit längerem. Die „objektive Hermeneutik“ von Rubin
und Schwanitz, einzelnen Fakten einen Zusammenhang geht vollkommen ins Leere. |
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© Wolfgang Geiger, 29.10.2015 |
Die umfangreiche Forschung zur Person
des Mufti im Zweiten Weltkrieg, zur deutschen Strategie hinsichtlich des
Nahen Ostens und zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Islamismus
hat in den letzten zehn Jahren die Rolle des Mufti anhand vieler Dokumente
herausgearbeitet: Seine von ihm
aufgestellte kroatisch-bosnische SS.-Division „Handschar“; seine
Rundfunk-Propaganda in die arabische Welt, die immer radikaler wurde, wie
sich der Kriegsverlauf negativer entwickelte; die Bereitstellung von SS-Einsatzgruppen
für den Fall des Sieges der Rommel-Armee in Nordafrika, mit dem gleichen
Auftrag wie zuvor in der Ukraine; die Kontinuitäten in der palästinensischen
Führung während des Krieges und danach und die Übergabe dieses Erbes an Shukeiry und Arafat, den Neffen des Mufti – dies alles in
Gegenstand zahlreicher Bücher und liefert ausreichend Stoff für die
politische Analyse und Diskussion. Der Mufti muss dafür nicht zum Erfinder
des Holocaust gemacht werden. |
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